zum Hauptinhalt

Kultur: Unheil verkündende Vorzeichen

David Vann und Christian Brückner lasen im Waschhaus aus „Im Namen des Vaters“

Stand:

Auch ein gutes Buch lebt mit von seiner Handlung, so wie Novellen gern spannend erzählt werden, wenn ungebremst auf das Unheil zugesteuert wird. Für David Vann, dessen Novelle „Im Namen des Vaters“ wie eine moderne Abenteuergeschichte in der Wildnis Alaskas beginnt, spielt die Handlung jedoch eher eine untergeordnete Rolle, so ungewöhnlich sie auch ist. Der Vater-Sohn-Thematik angemessen funktioniere das Ganze hier mehr wie ein Drama mit zwei Akteuren auf einer leeren Bühne, so Vann, während die üppige Natur dahinter als Spiegel diene, der alles vergrößert und statt der Flucht in die Idylle nun die Flucht des Vaters vor seinem eigenen Leben, seinem Versagen, seine gewissenlose Instrumentalisierung des eigenen Sohnes aber auch dessen innere Tragik zeige.

Der Mann, der am Mittwochabend im Waschhaus-Salon so bereitwillig auf die Fragen von Sigrid Löffler antwortet, hat in seiner Novelle den Suizid seines Vaters verarbeitet, den er mit 13 Jahren erleben musste. Nicht der einzige. Insgesamt fünf Selbstmorde und ein Mord seien in seiner völlig disfunktionalen Familie bereits geschehen, was jedoch für einen Schriftsteller auch gut sei, plaudert David Vann erstaunlich heiter. Doch den Selbstmord seines Vaters habe er nach langem auch als Anfangsimpuls begriffen, überhaupt darüber zu schreiben, wenngleich nicht sofort novellistisch. Ursprünglich wollte er einen Roman schreiben. Weil jedoch der amerikanische Buchmarkt dafür einen viel größeren Seitenumfang fordert, begann er mit einer Novelle. Später seien noch fünf kürzere, allesamt um das zentrale Thema gruppierte Geschichten hinzu gekommen und so die Sammlung „Legend of a Suicide“ entstanden. Vielleicht ein Vorteil für Europa, meint Vann. Denn nicht nur die fehlenden, sondern insgesamt elf Texte sollen als zweites Buch seiner stark beeindruckenden und bereits mehrfach preisgekrönten Novelle „Im Schatten des Vaters“ demnächst folgen.

Es ist zunächst Christian Brückner, der die Gäste an diesem Abend darin einführt. Stehend, in lässiger Pose, mit feinen Gesten, liest er mit seiner markant rauheiseren Stimme von der Ankunft von Jim und seinem Sohn Roy auf Sukkwan Island. Von der Natur bis zur rohgezimmerten Holzhütte, darin sich die beiden einrichten – alles wird sachlich und präzise beschrieben. Muntere Geschäftigkeit. Doch Roy fällt auch sofort auf, wie „schrecklich unvorbereitet“ sie sind und mit welch lebensmüden Gesprächsthemen er als 13-Jähriger konfrontiert wird. Am meisten aber belasten ihn die Weinkrämpfe des Vaters, die er fortan fast jede Nacht ertragen muss. Schon hier also stehen die düsteren Vorzeichen, die späterhin in einen realen Horrortrip münden werden, wie er in der Literatur so drastisch wohl selten stattgefunden hat.

David Vann schaut dem Vortrag Brückners mit sichtlich entzückter Miene zu und fährt dann selbst fort mit weicher Stimme, aber viel schneller aus dem englischsprachigen Original vorzulesen. Plötzlich bekommt er einen Lachanfall, der flugs auf das Publikum übergreift: an der Stelle, als Roy allein beim Angeln aus Langeweile onaniert. Schon wieder diese Unbeschwertheit, bei einem Autor, der es geschickt versteht, die bedrückenden Seelentiefen seiner Charaktere auszuloten und in „Im Schatten des Vaters“ oft die Landschaften als Metapher für die Angst benutzt und darin seinem großen Vorbild Cormac McCarthy folgt, wie er eigens betont. In der Wildnis werde der Mensch allein mit sich selbst konfrontiert, zeige sich nur die nackte Psyche, wobei das menschlich Gute, wie es im amerikanischen Pioniermythos verklärt wird, keine Kategorie sei. Doch die unerwartete, jäh überraschende Pointe, der entsetzliche Moment, von dem an man David Vanns Novelle nur schwer wieder vergessen kann, bleibt auch an diesem Abend ein Geheimnis. Daniel Flügel

Daniel Flügel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })