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Kultur: Unser Scheitern ist nicht das Ende

Der Dirigent Ud Joffe zum heutigen Konzert mit dem Neuen Kammerorchester Potsdam

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Das erste Buch Mose der Bibel hält hochmoderne Geschichten bereit, die Spiegel unserer Wirklichkeit sind. Beispielsweise „Der Turmbau zu Babel“: „Los wir bauen uns eine Stadt mit einem Turm, der bis an den Himmel reicht. Dann werden wir in aller Welt berühmt. Dieser Bau wird uns zusammenhalten, so dass wir nicht über die ganze Erde zerstreut werden.“ Dieser Bericht erzählt vom Ungehorsam der Menschen gegenüber Gott. Igor Strawinsky hat 1942 eine archaisch wirkende Kantate für Männerchor, Orchester und Erzähler zu diesem Text komponiert, noch ganz im neoklassischen Stil. Ud Joffe wird das selten aufgeführte Werk heute um 19.30 Uhr im 1. Sinfoniekonzert des Neuen Kammerorchesters Potsdam in der Erlöserkirche zur Aufführung bringen. Mit dem Dirigenten kamen wir ins Gespräch.

In Ihrer Programmkonzeption beziehen Sie sich in der Werkauswahl nicht nur auf eine musikalische Dramaturgie, sondern auch auf aktuelle Themen, die uns beschäftigen.

Die vergangenen Monate waren ausgefüllt mit politischen Ereignissen, die voller Brisanz waren: der fünfte Jahrestag der Tragödie der Twin Towers, der Libanon-Krieg, die Debatte um Günter Grass“ Mitgliedschaft in der Waffen-SS und nicht zuletzt die Papstrede in Regensburg. Sie haben auch bei mir grundsätzliche Fragen nach unserer Verantwortung für diese Welt verstärkt wachgerufen, als Musiker, als Interpret.

Die Geschichte vom Turmbau zu Babel ist eine beeindruckende Parabel und erzählt davon, dass der Mensch die Vollkommenheit Gottes anstrebt.

Ja, aber wir Menschen scheitern an unseren Grenzen, auch an unseren Eitelkeiten. Die Parabel erzählt von der Unfähigkeit, miteinander zu kommunizieren. Dialog führt nicht immer zur Verständigung. Auch in Babel haben die Menschen miteinander gesprochen, sich aber nicht verstanden, sie haben den anderen nicht wirklich wahr genommen. Wenn wir von Dialog, beispielsweise mit Muslimen reden, dann meinen wir oft, sie sollen sich öffnen für unsere westliche Welt, für unsere Werte. Echtes Verständnis füreinander aufbringen – das sollten wir anstreben.

Im heutigen Konzert wird nach der Babel-Kantate die Kammersinfonie in c-Moll des Russen Dmitri Schostakowitsch sowie das Wallfahrtslied des estnischen Komponisten Arvo Pärt musiziert.

Schostakowitsch schrieb sein Werk nach einem Besuch in Dresden im Jahre 1960. Er war sehr erschüttert von dem Anblick der Ruinen dieser Stadt, die damals noch so geprägt von der Kriegszerstörung war. Auf „Babel“ und die Kammersinfonie möchte ich mit dem Wallfahrtslied antworten. Pärt hat darin den 121. Psalm verarbeitet, der mit den Worten beginnt: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt“. Das sind Worte und das ist Musik der Hoffnung. Es hat die Botschaft: Unser Scheitern ist nicht das Ende.

Nach der Pause wird das Neue Kammerorchester eine der berühmtesten Sinfonien aufführen: die Neunte von Antonin Dvorak mit dem Titel „Aus der Neuen Welt“ , die er 1893 in New York uraufführte. Passt sie in diese Programmkonzeption?

Ich finde schon. Dvorak selbst sagte: „Sie wäre nicht so geschrieben, wenn ich nicht in Amerika gewesen wäre.“ Und so findet man in ihr so manche motivische Verwandtschaft aus der afroamerikanischen und indianischen Musik. Unterdrückte Kulturen kommen hierbei zu Wort. Dies ist absolut dialektisch.

Das Gespräch führte Klaus Büstrin

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