
© Manfred Thomas
Kultur: Unsterblich
Das Ovid-Ensemble brachte Ovids „Metamorphosen“ im „Treffpunkt Freizeit“ zur Premiere
Stand:
Für manche Renaissance-Giganten war der römische Dichter Ovid oder Ovidus noch ein Eingeweihter, ein Magier. Wie man Liebe „macht“ oder Liebe verhindert, las man bei ihm als „Ars amatoria" und „Remedia amoris“ in allen Zeiten gern. Sein Hauptwerk indes, die „Metamorphosen“, wurde in manchem Jahrhundert auch Opfer des Zeitgeschmacks. Dabei vermögen aufrechte Sucher der Wahrheit darin noch immer den Genius der Weltschöpfung fühlen, wie es der heutigen Astrophysik samt Urknall-Tick nur billig sein könnte. Kurz und gut, am Freitagabend zeigte das neu gegründete „Ovid-Ensemble“ im Treffpunkt Freizeit, wie „die Kunst“ mit dem magischen Stoff umzugehen versteht.
Die Oboistin Ulrike Fabienke, Ideengeberin und guter Geist der Profi-Truppe, wählte acht Szenen aus Ovidens Wunderbuch, um sie mit deutlicher Tendenz zum Gesamtkunstwerk auf die Vor- und Hauptbühne der Potsdamer Spielstätte zu bringen. Unter den neueren Künsten wählte sie das Malen und das Vorlesen, von den alten (nach den Musen Erato und Euterpe) Tanz und Musik. Vier Artes also sollten darstellen, was es mit den magischen „Verwandlungen“ des Ovidus Naso auf sich hat. Leider war die Premierenvorstellung im für die Aufführung viel zu großen Theatersaal vom „Treffpunkt“ schlecht besucht. Es dauerte, bis am Freitagabend „der Funke“ übersprang.
Entree: Die Potsdamer Malerin Jeanne Finsterbusch geht auf der Vorbühne zu ihrer Staffelei, ein Bild zum Buch entwerfend, während Schauspieler Heiko Schendel rechterhand aus Ovids Schöpfungsszene liest. Wie gesagt, da könnten Astroleut’ von heute manches lernen. Als dann die tiefsinnigen Geschichten von Pan und der Nymphe Syrinx, von Pyramus und Thisbe, von Phaeton und von Niobe an die Reihe kamen, öffnete sich der Vorhang.
Griechisch gewandet, begannen Andrea Bernhard-Fensch und Adrian Navarro diese Szenen „klassisch“ zu tanzen. Langsamen Schreitens spielte Ulrike Fabienke ähnlichen Kostüms Solostücke von Benjamin Britten dazu. Der Insulaner hatte sie exklusiv für Ovid und eine Oboe geschrieben. Zwei allerdings stammten aus der Feder des Potsdamer Komponisten Fabian Klebig, sie waren im Stil des Briten gemacht.
Der Plan, den ollen Römer ritterlicher Herkunft wieder salonfähig zu machen, ist gut, sehr gut sogar. Allerdings war die Ausführung nicht eben perfekt.
Als besonderes Hemmnis erwies sich der übergroße Respekt vor der „antiken Vorlage“. Weg mit der „historischen Aufführungspraxis“, fort mit der klassischen Griechen-Dümpelei samt ihres leichentoten Ästhetizismus! Mit Phantasie und Spielwitz hätten sich ganz eigene Zugänge öffnen können! Wenn etwa Phaeton nicht auf den Vater hört und regelrecht „abstürzt“, ist das doch keine Geschichte von gestern! Wackeln nicht alle Bäume, wenn ein Kraftstrotz wie Pan die arkadische Nymphe Syrinx verfolgt, fürchtet nicht alles solch elementare Gewalt, versteckte sich da nicht Hase und Igel? Die kinderreiche Königin Niobe spottet der himmlischen Todesmutter Latona, und wird mit dem Untergang ihrer vierzehn Kinder bestraft. Sie selbst überlebt, versteint, als weinender Marmor. Vor solchen Geschehnissen müsste einem doch das Gruseln begegnen!
Wenn auch manches mehr Illustration als Gestaltung blieb und von echter „Verwandlung“ nicht viel zu sehen war, so hat dieser neunzigminütig Abend auch eigene Qualitäten. Es lohnte schon, den Versuch einer Addition der Künste/Musen zu analysieren. So ein Bild vom efeu-umkränzten Bacchus am Rande, Herr fast aller Weinschlürfer – gar nicht so schlecht! Alles muss nur lebendiger werden, nicht rein oder hehr. Ovidus Naso lebte um die Zeitenwende, er starb im dakischen Exil, im heutigen Konstanza. Ein Lexikon schrieb, die Kenntnis seiner Werke sei eigentlich „nie erloschen.“ Dem kann man nur beipflichten.
Gerold Paul
Die nächsten Vorstellungen sind am Freitag, dem 1. Oktober um 19.30 und Samstag, dem 2. Oktober um 16 Uhr und 19.30 Uhr im Treffpunkt Freizeit. Karten im PNN-Shop bei Karstadt oder unter www.ulrike-fabienke.de.
Gerold Paul
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