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Von Dirk Becker: Unter spanischer Herrschaft

Sinfoniekonzert II: Das Brandenburgische Staatsorchester und der Gitarrist Lucas Imbiriba im Nikolaisaal

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Lucas Imbiriba ist ein Mann der Zugabe. Einer, der anderen charmant die Schau stiehlt und dafür uneingeschränkt Jubel kassiert. Gerade hat er zusammen mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt im Nikolaisaal Rodrigos berühmtes „Concierto de Aranjuez“ gespielt. Eine zurückhaltende Interpretation. Wie ein fernes Sehnen, in die er, nur schwer gezügelt, regelmäßig sein südländische Temperament einschlagen ließ. Nun fordert das Publikum eine Zugabe. Lucas Imbiriba lässt sich zweimal bitten.

Beide Male spielt er Lieder aus seiner brasilianischen Heimat. Expressionistische und rhythmusstrotzende Wechselbälger. Und was Imbiriba dabei aus den sechs Saiten holt, lässt selbst den verwöhnten Gitarrenfreund überrascht aufhorchen. Da spielt er eine „Toteanda“ und erzeugt auf seiner Konzertgitarre Klänge, dass der Eindruck entsteht, da tobt gerade ein ganzer Karnevalszug ausgelassen durch den Nikolaisaal. Die Frankfurter Orchestermusiker lassen ihn gewähren. Wer einem so die Schau stiehlt, dem kann das niemand übel nehmen.

Samstag Abend im Nikolaisaal. Das 3. Sinfoniekonzert steht auf dem Programm, die gewählten Komponisten zeigen: Hier wird für zwei Stunden die spanische Herrschaft ausgerufen. Am Anfang steht Nikolai Rimsky-Korsakows „Capriccio espagnol op. 34“. Mit dem ersten Satz „Alborada (attacca)“ geben die Frankfurter unter Manel Valdivieso die Marschrichtung vor. Die Blechbläser mimen marschfreudig eine Militärkapelle und geben nur widerwillig ihre Dominanz an die Streicher und Holzbläser ab. Doch dann entsteht ein breites, gelegentlich fast schon überladenes Panorama klischeehafter Spanienthemen, durch die die Solovioline verträumte Kadenzen fädelt. Klar und zupackend hier die Frankfurter, von Valdivieso zur zurückhaltenden Schwelgerei ermahnt.

Dann der Auftritt des 25-jährigen Lucas Imbiriba, der erst in diesem Jahr sein Studium an der Hochschule für Musik Nürnberg-Augsburg abgeschlossen hat. Schon mit den einleitenden, in Flamencomanier gespielten Akkorden ließ er eine flirrende, von sanfter südländischer Wärme getragene Atmosphäre im fast ausverkauften Nikolaisaal entstehen. Imbiriba versucht erst gar nicht, sich mit lautem Anschlag gegen das Orchester zu behaupten. Seine Lesart von Rodrigos „Concierto de Aranjuez“ ist eine lyrisch-emotionsgeladene, von deren Zurückhaltung sich auch Frankfurter Musiker tragen lassen und so meditative Momente entstehen lassen, die in ihrer schwelgerischen Schönheit nie auch nur die Andeutung von Kitsch in sich tragen.

Die Orchesterversion von vier Sätzen aus Isaac Albéniz“ „Suite espanola“ hinterlässt dagegen einen zwiespältigen Eindruck. Ursprünglich für das Klavier geschrieben, ist diese „Suite espanola“ in ihrer fast schon suggestiven Bildhaftigkeit und dem Aufgreifen traditioneller Themen eine unübertroffene musikalische Landschaftsmalerei. Doch mit der geballten Kraft eines Orchesters werden diese feinen Bilder zu gewaltigen Historienschinken, die weniger durch feine Details überzeugen, sondern den Zuhörer regelrecht überrollen. Mit dem Orchester kracht der Donner, wo das Klavier einen zarten Tupfer setzt, gehen im breiten Instrumentarium die feinen, arabisch beeinflussten Anspielungen und Zitate wie in „Granada“ fast verloren. Hinzu kommt, dass Valdivieso die Streicher hier zentimeterdicken Schmelz auftragen lässt, der nah am Rand zum Unerträglichen schwimmt.

Mit Ravels „Boléro“ ist das Orchester zum Abschluss wieder auf der sicheren Seite. Valdivieso versteht es, die zahlreichen Solostimmen, durch die gelegentlich auch der Jazz zu schleichen scheint, farbig und akzentreich über den sturen und unverkennbaren „Boléro“-Rhythmus zu legen. Nach dem krachenden Finale fordert das Publikum mit Ausdauer eine Zugabe. Da lassen sich Dirigent Valdivieso und die Frankfurter nicht lange bitten.

Dirk Becker

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