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Kultur: Utopisches Gemurmel bei „freitag“-Debatte

„Utopie konkret“ mit Theater in Villa Arnim

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„Utopie konkret“ mit Theater in Villa Arnim „Träume, Goldnes Wenn“, dichtete der Marxist Brecht, „auf freiem Grund mit freiem Volke stehn!“ schrieb Goethe. Utopien, Nicht-Orte, bloße Gedanken. Dergestalt wollte es auch das Hans Otto Theater mit der Neuauflage ihrer „Potsdamer Gespräche“ in der „Villa Arnim/industrieclub“ halten. Dort trafen sich drei „revolutionäre Marxisten“, um eine längst schwellende Debatte der „Ost-West-Wochenzeitung freitag“ fortzusetzen und auch „Preußens Hauptstadt“ kund zu tun, was sich als „utopische Alternative“ zum real existierenden Kapitalismus mit seinem wölfischen Verwertungsgesetzen so alles denken lässt. Mit gerechtigkeitsheischendem Ehrgeiz und immersattem Selbstverständnis wird dieser Diskurs vom „freitag“ ins linke Volk der Intellektuellen gespült, seit Mai. „Utopie konkret – Was tun, wenn nichts mehr geht“ ist sein Titel, der Untertitel behauptet gar, man habe es mit einer Debatte unabsehbarer Folgen zu tun. Da durfte man, zusammen mit etwa 25 Gästen, wohl gespannt sein, was der Nürnberger Autor Robert Kurz („Weltordnungskrieg“) und Christoph Spehr von der Berliner Rosa-Luxemburg-Stiftung unter der Regie von Hans Thie zu sagen hatten. Als Vierte im Bunde war die HOT-Chefdramaturgin Anne-Sylvie König über die zwei Stunden nachhaltig bemüht, den illustren Denkern Konkretion am höchst lebendigen Menschen abzuringen, was weithin misslang, denn auf gut marxistische Weise (das Sein bestimme das Bewusstsein) fingerten die Diskutanten nur immer an „den Verhältnissen“ herum, ein jeder nach seiner Art. Format im Sinne von Platon, der seinem Utopia zuerst Tugenden abforderte, hatte nichts davon. Ohne mehrmaliges Nachfragen waren die suchenden, murmelnden Statements von Spehr und Kurz am Anfang ohnehin kaum zu verstehen. Einig war man sich, dass sowohl der implodierte Staatssozialismus als auch der Kapitalismus überwunden werden müssten, doch Christoph Spehr kam, mit über das alte, durch Habermaas verstärkte anarcho-sozialistische „Modell“ von Fourier nicht hinaus: Er will, innerhalb oder außerhalb „des Systems“, eine „freie Kooperation freier Produzenten“, womit er sich in die Reihe marxistelnder Ökonomen einzureihen versucht. Nicht die Stärksten sollten „die Regeln“ erstellen, sondern „wir alle“. Mit „Wir“ meint er „die Subjekte einer möglichen Aufhebungsbewegung“. Was würden „wir“ denn tun, wenn „uns“ die Werften gehörten? Auch den Markt bedienen, oder die alten Wertgesetze einfach umstürzen und inmitten dieser Welt „frei kooperieren“, je nach eingebrachtem Eigentum und ganz nach Gusto. Zudem verlangte er die totale Freiheit von Wissenschaft und Information, unbedingt wertfrei, versteht sich. Robert Kurz machte den Marxschen Begriff vom „Überbau“ kurzum zur „Matrix“ alles Bestehenden. Er hatte keine Utopie, es sei denn, die „Kraft der Negation“ wollte sie mit gigantischen Volksbewegungen „brechen“. Denkformen ändern und sozialer Widerstand waren seine Begriffe. Beide waren sich einig, dass Reichtum illegal sei und den Besitzern, nach Lafontaine („jeder der eine Million hat, ist kriminell“), weggenommen gehöre: Nach deutschem Recht ist das strafbar: Sage einer, er wolle seine Bank berauben – was geschähe? Zudem unterschieden sich die beiden Strategen immer weniger voneinander, der eine benutzte die Matrix des anderen, dieser die freien Kooperationen des ersten, alles weitgehend unwidersprochen. Ihr gemeinsames Ziel (wenn manchmal auch stotternd) ist die Gleichmachung aller Verhältnisse, ein „Utopia“ offenbar ohne Werte, zumindest war bei allem Systemgeschwätz davon nie die Rede. Die alten Konzepte mit neuen Rezepten: Man will die Unterschiede der Welt nicht akzeptieren. Ob der Veranstalter wusste, worauf er sich einließ? Jemand fehlte leider in der Runde: Ein anders denkender Geist von Platons Format. Gerold Paul

Gerold Paul

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