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Entstellte Götter. Venus und Mars im Diptychon von Andy Kern.

©  Lore Bardens

Kultur: Venus und Mars, gebrochen

Andy Kern stellt seinen Diptychon im Pomona-Tempel aus

Stand:

Als hingen sie schon immer in dem kleinen Raum des Pomona-Tempels auf dem Pfingstberg, wirken die beiden großformatigen Gemälde von Andy Kern, „Venus“ und „Mars“. Sie nehmen Farbigkeit und Bruchstellen des kleinen Innenraums wie spielerisch auf, mit leichter Hand scheint hier einer ans Werk gegangen zu sein. Als zögen sie den Besucher hinein in einen Raum, der sich, steht man davor, kulturgeschichtlich groß weitet.

Das Diptychon mit den beiden mythologischen Figuren ist durch den Kamin getrennt, sie befinden sich offensichtlich in einem Dialog miteinander, diese Inkarnationen des weiblichen und des männlichen Prinzips, aber sie dialogisieren auch innerhalb des Raums, den ihnen der Tempel bietet. Der nämlich – nach griechischem Vorbild erbaut, einer römischen Göttin geweiht, birgt in sich schon jede Menge kulturhistorische Anspielung, die nun Andy Kern aufnimmt und ihr eine eigene Interpretation zufügt. Schaut man sich diese beiden Gemälde genauer an, fällt auf, dass sie trotz all der ästhetischen Schönheit, die die Farben und die Gestalt der beiden Figuren ausstrahlen – lädiert sind. Sehr sogar.

Die Dame in den braunen, weichen Tönen und dem goldenen Zentrum scheint zu sitzen, kein Wunder, stehen kann sie auf diesen Füßen sicher nicht. Die Unterbeine würden, sollten sie jemals noch als Gehwerkzeug benutzt werden, ausgleiten auf jeglichem Boden, es sieht aus, als könnten es Scheren eines Hummers sein. Dabei sind es die Rudimente der Venusmuschel eines Boticelli, ein Zitat, ein Intertext, den man bei diesem Thema sicher nicht übersehen kann. Ihr gesamtes Gewicht strebt hinüber zu dem Mann, der offensichtlich, trotz all seiner Beschädigungen, immer noch begehrenswert wirkt: auch er in einer Haltung, die von der Dame magnetisch angezogen scheint, auch er aber ist defekt. Der Kopf gar ist ein Totenkopf, eingebettet in hohes Sonnengelb, aber deutlich erkennbar nicht wirklich lebensfähig. Die Beine sind auch bei ihm, wohl kriegsbedingt, versehrt, das eine nicht sichtbar, das zweite steht auf einer Krücke. Allerdings hütet sich Andy Kern, allzu figürlich zu werden, so dass der Interpretation durch den Betrachter viel Raum gegeben wird. Die Mythen werden durch die hohe Ästhetik der Bilder zwar freundlich beschützt, aber zugleich komplett dekonstruiert.

Man merkt den Arbeiten des Künstlers, der 1959 in Fürstenberg an der Havel geboren wurde, in Leipzig studierte und als Maler und Grafiker in Potsdam lebt, die hohe Schule an. Da ist nichts zufällig, alles abgezirkelt genau, Vagheiten sind bewusst gesetzt, Irritationen planvoll eingefügt. Ohne ausgemalten Hintergrund kommen die beiden Macht- und Liebesgestalten daher, sie sind absichtlich aus einem leeren Raum geholt, der bei ihm, dem Krieger, allerdings eine Spur weniger warm farblich gestaltet ist als bei ihr.

Niedergedrückt wird der Krieger durch eine geometrisch exakt wirkende Fracht aus aggressivem Rot und Gelb, dennoch versucht er, sich stolz aufrecht zu halten. Und in der Tat, immer noch strahlt er Autorität aus, dieser alt gewordene Mars. Auch Venus bemüht sich, ihre erotische Ausstrahlung neu zu definieren, auch sie gealtert, gebrechlich, nicht mehr strahlend zwar, aber warm(herzig), so scheint es zumindest, und der goldene Unterleib könnte ihr ja die Energie neu verleihen, die sie braucht, um wieder erotisch zu werden.

So hat Andy Kern ein heroisches Comeback für sich selbst geschaffen, indem er es vermag, auf zwei Gemälden eine Allegorie der Alten Welt, der alten Werte darzustellen. Er liefert eine Reflektion auf die Bürde der Geschichte, der Kriege, vielleicht auch auf die allzu bereitwillig inszenierte Fleischlichkeit der Massenmedien, die diese beiden ehemals so stolzen Götter nun gebrechlich werden lassen, hilfsbedürftig. Und auch, genau wie manch sture Alte, die einmal eine Mission hatten, die schon längst nicht mehr gültig ist, versuchen sie dennoch den Schein zu wahren: Den Schein des Stolzes, der Eroberung und der Begierde. Den Schein der Waffen, der Beherrschbarkeit und des Geschlechterkampfes. Den Schein eines Lebens, das so nicht mehr funktioniert. Lore Bardens

Die Ausstellung ist immer samstags und sonntags von 15 bis 18 Uhr geöffnet

Lore Bardens

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