Kultur: Verändert
Wir sind Helden füllten die Waschhaus Arena
Stand:
In der Berliner Straße klappen gegen 20 Uhr normalerweise die Bürgersteige hoch und es wird beinahe andächtig still. Doch immer wieder kommt es vor, dass das Viertel gegen Tagesende plötzlich noch einmal zum Leben erwacht, Unmengen Autos die Fahrbahn verstopfen und unzählige Menschengruppen Richtung Straßenbahn pilgern. Dies ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass auf dem Gelände der Schiffbauergasse gerade etwas richtig Großes zu Ende gegangen ist. So etwas wie das Konzert der deutschen Rock- und Popband Wir sind Helden, die am Montagabend zum wiederholten Male ganz lässig die Waschhaus Arena füllte und vor ausverkauftem Saal einen Querschnitt ihrer musikalischen Bandbreite bot.
Eines wurde schnell klar: Die Band hat sich verändert. Die mittlerweile auf sechs Köpfe angewachsene Formation lieferte eine Show, die es mit den ganz Großen im Geschäft aufnehmen konnte. Ordentlich Lichteffekte, Videosequenzen und eine unfassbare Menge an unterschiedlichen Musikinstrumenten, die vom Keyboard über Gitarre bis hin zu Banjo, Klarinette und Akkordeon reichten, und deren schneller Wechsel souverän vonstatten ging, bewiesen, dass die Helden in ihre Rolle als vielleicht wichtigste deutschsprachige Band hineingewachsen sind, trotz musikalischer Pause, verursacht wohl durch diversen Familienzuwachs.
Dieser führte zum vielleicht intimsten Moment des Konzertes, als Frontfrau Judith Holofernes in der Zugabe, ohne Band, nur sich selbst begleitend „Nichts, was wir tun könnten“ singt, darüber, wie jemand seine Hand in ihre legt und sie nicht mehr unverwundbar ist. Schade, dass einige im Saal aus unbekanntem Grund so laut lachen, dass sie beinahe den Moment zerstören. Doch glücklicherweise sind die Fans sonst ein überwiegend mitfühlendes Publikum, das sich nicht nur den ein oder anderen B-Seiten-Song der Band gefallen lässt, sondern auch das Klatschen im richtigen Moment beherrscht. Und so können die Helden das Outro von „Alles“ richtig genießen und bedanken sich dafür bei ihren Fans.
Die fühlen sich aber auch so belohnt von der energetischen Judith, die mit den Gitarristen Ruben Scheffler und Jean Michel Tourette im Wechsel flirtet oder ihren Partner Pola Roy zu einem spektakulären Soloausdruckstanz ermutigt. Vielleicht verursacht sie ja damit die ungebremsten Rockattitüden der Jungs, die sich gegenseitig anzustacheln scheinen und mit größtem Spaß den Saal zum Kochen bringen, als sie beispielsweise während „Im Auge des Sturms“ alle Hemmungen fallen lassen und sich ordentlich austoben an diesem Song, der, unterlegt mit psychedelischen Videoschnipseln und dem energisch eingesetzten Schellenkranzspiel von Judith, einen richtigen Hippietouch bekommt. Da erweist eine Band den Rockgrößen der 70er Jahre vielleicht ihre Wertschätzung.
Eine Referenz erweisen die Helden in jedem Fall der Band Ton Steine Scherben, indem sie in den eigenen Song „Wolf und Brigitte“ einige Zeilen aus „Land in Sicht“ schmuggeln. Und weil sie das gern machen und es so unglaublich viel Spaß bringt, bleibt auch „Nur ein Wort“ nicht original, sondern wird mit einer Prise Nancy Sinatra gewürzt. Das freut das Publikum und lässt es, als die Band dann doch irgendwann von der Bühne geht, bereitwillig den Becher plus Pfandmarke spenden, denn, so hatte die Band während einer Liedpause aufgeklärt, damit würden in Indien und Burkina Faso Brunnen gegen die Trockenheit gebaut werden. Wenn gute Laune immer zu guten Taten führen würde! Andrea Schneider
Andrea Schneider
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