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Kultur: Vereinigt

Obelisk-Premiere zu 20 Jahre Mauerfall

Stand:

Wahnsinn! Einfach Wahnsinn, dieses satirische Begleitprogramm zum Fall der deutschen Mauer, zu den Wundern der täglichen Einheit. Es ging den obelisken Kabarettisten Gretel Schulze, Helmut Fensch und Andreas Zieger nicht einfach nur um das Abstraktum Wiedervereinigung an sich, sie schritten zur Premiere gleichsam mit gutem Beispiel voran und vereinigten sich kurzerhand mit der kessen Schnellsprechzunge ihrer Kollegin Andrea Meissner.

Eine Spätzündung wohl, aber so kam wenigstens manch fremder Ton in das Jubiläumsprogramm, sie ist ja eine gesuchte Spezialistin für die hohen, unerwarteten Töne. Einfach „Wahnsinn“ heißt ihr vorzeitiger Kommentar zum Jubiläum, offenbar ein Fall für vier im gesamtdeutschen Dschungelcamp, wozu bekanntlich auch der bekannte Spruch „Holt mich hier raus!“ gehört: Im „Obelisk“ erhält er seinen wahren Sinn zurück! Volles Haus zur Gründonnerstags-Premiere, eine Bombenstimmung, obwohl der Kollege „Ballack Obama Bin Laden“ kaum erwähnt wurde. War ja kein Anti-Terror-Anti-Programm, eher eines zum Jubeln.

Nur, worüber? Über die versammelten Krisen in Finanzen und Wirtschaft, über die soziale Desolation? Nein, man wollte „über Gefühle“ reden. Zweierlei zeichnet den Hundertzwanzigminüter wohltuend aus: Sein gesamtdeutscher Ansatz sowie die Rollenaufteilung. Im gerechten Quadrat kamen nun auch die Herren mehr zum Zuge, der Herr Zieger mit einer lustigen Nummer als Grenzmeister während der Öffnung, der später von grenzsichernden Staaten wie USA, Israel oder Nordkorea gern als Berater geholt wird, Helmut Fensch etwa beim Solo mit dem „Dorett-Syndrom“: Immer rutscht ihm das grässliche Wort „Sozialismus“ über die Lippen; sonst begleiteten beide das witzige und flott abgespielte Programm auf bekannten Instrumenten. Gefühle über Gefühle!

Wie sieht es nun aus, wenn selbst das Potsdamer „Obelisk“ unwiederbringlich in Gesamtdeutschland angekommen ist?

Satirisch natürlich, oder seismografisch, mit Ausschlag nach rückwärts und vorn: DDR bedeutete „Käfighaltung mit Test, wann die ausflippen“. Trotzdem sei diese dabei, den Westen zu überholen. Zwar ist es noch etwas hin, bis „VEB Opel“ Plaste-Autos baut, doch Arbeitermitbestimmung (freiwilligen Lohn- und Urlaubsverzicht) und Bankenverstaatlichungen gibt es ja schon, selbst das Öffentliche Fernsehen ist unterwandert: Hat Anne Wills Talkerei nicht längst das Niveau eines „FDJ-Studienjahrs“?

Andererseits schien dem Quartett das Wiedervereinigte nicht zu genügen, überall mäkelte man herum. Krankenschwester Gretel Schulze nutzte die Krise wenigstens als Chance, bei ihr wird Fachpersonal durch arbeitsloses Fachpersonal ersetzt: Junkies in der Anästhesie, Fleischerlehrlinge bei den Chirurgen, Kanalarbeiter fürs Gynäkologische, selbst abgewrackte Politiker dürfen noch als Trostspender für Todgeweihte arbeiten. Dass man sich im deutschen Dschungelcamp über Demokratie und Freiheit keine Illusionen mehr macht, kam auch noch herüber. Wiedervereinigung? Nur nicht aus Liebe weinen!

Jede Menge dufter Songs, eine belebende Witzkultur, sogar Verwandlungen hatte man diesmal mit Hasi auf Lager. Besonders sympathisch das Spiel mit dem Publikum: Stammgast Koschuweit nahm in der Urin-Therapie-Nummer tapfer einen Schluck aus der Flasche, Andrea Meissner tanzte mit einem anderen im Parkett. Der Saal begeistert, ein gutes Programm. Von der Mauer lernen, heißt eben siegen lernen: Wahnsinn! Gerold Paul

Gerold Paul

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