Kultur: Verfemt und verboten
MMZ initiiert „Bibliothek der verbrannten Bücher“
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MMZ initiiert „Bibliothek der verbrannten Bücher“ Eine überraschende Gemeinschaft an Büchern liegt ausgebreitet in den Vitrinen: eine „Allgemeinverständliche Einführung in die Relativitätstheorie“ von Albert Einstein, die „Jugendgeschichte einer Arbeiterin“ von Adelheid Popp, neben keusch wirkenden Sexualaufklärungsbänden, das „Kommunistische Manifest“, neben Bänden mit Theaterkritiken von Alfred Kerr. Alle Bücher haben die Patina des Antiquarischen, keine der ausgestellten Ausgaben ist nach 1933 gedruckt. Uri Faber, Bibliothekar der jüdischen Gemeinde Berlins, stellte alle präsentierten Bücher aus seiner Privatbibliothek zur Verfügung, um einen visuellen Eindruck des Projektes zu vermitteln, das der Initiator Professor Julius H. Schoeps, das schwierigste nennt, dessen sich das Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ) jemals angenommen habe. Denn es geht um nicht weniger als um eine Rekonstruktion der „Bibliothek der verbrannten Bücher“, der Bücher also, die die Nationalsozialisten auf den Scheiterhaufen warfen. Seit zwei Jahren arbeitet unter dem koordinierenden Dach des MMZ ein Team von neun Wissenschaftlern und zwei Bibliothekarinnen an diesem Editionsprojekt, das wohl noch zwei weitere Jahre beanspruchen wird. Im Rahmen der Tagung „verfemt und verboten: Bücherverbrennungen in Deutschland“ stellte Dr. Doris Wendt vom Olms Verlag das Konzept des ungewöhnlichen Vorhabens vor. Um eine „inhaltlich solide Repräsentativität“ zu gewährleisten, wurden aus der Fülle der von den Nazis verbrannten und verbannten Büchern 300 Titel ausgewählt, die einen Überblick über die Literatur geben, die nach 1933 verboten wurde. Als Grundlage dienen die berüchtigten „Schwarzen Listen“, die am 16. Mai 1933 veröffentlicht wurden, sowie die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ vom Oktober 1935. In einheitlicher Gestaltung gebunden, werden die Bände zusammen mit einem Bücherregal ausschließlich den rund 3000 Gymnasien und Oberschulen in Deutschland zu einem subventionierten Preis – unter 1000 Euro – angeboten. Dieses in hoher Auflage aufgestellte interaktive Denkmal soll ein Bewusstsein gerade in der jungen Generation für eine Moderne entwickeln, die – darin waren die Nazis bislang erfolgreich – so nicht mehr „zum Fundus historischer Selbstvergewisserung“ gehört. Wie die Verlegerin deutlich machte, wurde nicht nur eine ganze Literaturepoche verbrannt, diffamiert und dem Bewusstsein nachfolgender Generationen entrissen, auch eine Verlagskultur wurde durch die Nationalsozialisten zerstört. Denn die zahlreichen, oft eben erst gegründeten Kleinverlage waren durch das Verbot ihrer Autoren ihres Programms beraubt, viele wurden nach dem Krieg nicht mehr neu gegründet. So sei eine der verlegerischen Herausforderungen des Projektes, das sich um „größte moralische Seriosität“ bemüht, die schwierige Klärung der Urheberrechte. Sind diese eingeholt, dann werden die Bücher im Reprintverfahren gedruckt, damit die Benutzer der Bibliothek einen Eindruck der Originalausgaben bekommen sollen. Ein biographisches Handbuch sowie ein Band mit Materialien für die pädagogische Aufarbeitung werden, neben einer als multimediale Einführung konzipierten CD-ROM, den Schülern nicht nur den historischen Kontext näher bringen, sondern auch den Zugang zu den Büchern erleichtern. Zusätzlich wird die Bibliothek durch einen Essayband mit erläuternden Aufsätzen zur Bücherverbrennung ergänzt, der die Vorträge der zur Zeit im Alten Rathaus stattfindenden Tagung versammelt. Lene Zade
Lene Zade
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