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Schauspielerisches Intensitätsbündel. Der Berliner Oktay Özdemir.

©  Patrick Wamsganz/Agentur

Von Dirk Becker: Verfluch mich noch mal

Oktay Özdemir spielt am Freitag in „Adams Äpfel“ den Tankstellenräuber Khalid – Eine Annäherung

Stand:

Bei dem Film ist Oktay Özdemir eingeschlafen. Er hat Khalid gesehen und abgewunken. Vergiss es! Dann hat er die Augen geschlossen.

„Der Film ist eine Null“, sagt Oktay Özdemir. Er spricht über „Adams Äpfel“, die herrliche Groteske des dänischen Regisseurs und Drehbuchautors Anders Thomas Jensen aus dem Jahr 2005, in dem die Läuterung des Neonazis Adam erzählt wird, der ausgerechnet in einem kleinen namenlosen Dorf vom erschreckend gutgläubigen Pfarrer Ivan resozialisiert werden soll. Adam, der Außenseiter, muss erkennen, dass er hier in Kirche und Pfarrhaus scheinbar noch der harmloseste Spinner ist. Neben Ivan leben hier Gunnar, ein gescheitertes Tenniswunderkind, das sich zum Vielfraß, Kleptomanen und Alkoholiker entwickelt hat, und Khalid, ein arabischstämmiger Tankstellenräuber mit ganz eigenwilliger Mundart in der ihm noch fremden Sprache. „Der guckt ja Scheiße aus. Ich sag nicht „hallo“ zu Scheißhaufen“, sagt Khalid, als er Adam zum ersten Mal begegnet. Sein ständiges „Verfluch mich noch mal“ wird zu einer Art Grundmelodie im Film, durch die man diesen schrägen Kerl einfach mögen muss. Oktay Özdemir aber mochte diesen Khalid nicht.

Nun spielt der 24-jährige Oktay Özdemir diesen Khalid selbst. Am Hans Otto Theater, in der Inszenierung von Lukas Langhoff, die am Freitag in der Reithalle Premiere haben wird. „Nicht fünf, sondern zehn Sterne muss dieses Stück bekommen“, sagt Özdemir. Widerrede zwecklos. „Wir verteilen die Sterne, wir sagen, wo sie hingehören.“

Nun hat das Potsdamer Publikum schon seine Erfahrungen mit Langhoffs eigenwilliger Regiearbeit an Shakespeares „Macbeth“ und Elfriede Jelineks „Die Kontrakte des Kaufmanns“ machen dürfen. Mit Sicherheit wird auch seine Inszenierung von „Adams Äpfel“ fröhlich gegen den Strich gebürstet werden. Doch allein Oktay Özdemir in der Rolle des Khalid zu erleben, wird wohl den Besuch lohnen. Und das obwohl es Özdemir in dem Gespräch in der Kantine des Hans Otto Theaters grandios versteht, immer wieder den Fragen zu „Adams Äpfel“ auszuweichen. Es gibt wichtigere Themen. Und wie Özdemir darüber redet, das allein hat schon größten Unterhaltungswert.

Bevor überhaupt eine Frage gestellt werden kann, liegt eine Zeitung auf dem Tisch. „1.StreetMag“, der Titel. Ein Produkt des Berliner Kunstvereins Genius Art Corp, für den sich auch Özdemir engagiert. Eine Plattform für junge Künstler, die jetzt regelmäßig ihr „StreetMag“ herausbringen wollen. Verteilt werden diese Hefte an Obdachlose und mittellose Menschen, die das Heft verkaufen können und das eingenommene Geld ohne Abgaben an den Kunstverein behalten können. „Ich spiele nicht nur den hochpolitischen Khalid, ich bin auch selbst politisch“, sagt Özdemir. Doch bevor man ihn fragen kann, ob Khalid wirklich politisch handelt, weil er Tankstellen ausraubt in dem Glauben, er schade so den Multikonzernen, zieht Özdemir auf einmal seine Brieftasche aus der Jacke und fixiert sein Gegenüber.

„Mal sehen, ob du dich traust“, sagt er.

Nun geht es um seine Projekte, seine Workshops mit Jugendlichen, seine Idee, mit denen Straßentheater zu machen. Projekte, die keine Grenzen kennen und sich mit dem austoben, was die eigene Fantasie hergibt. „Da habe ich hier mein Spendenkonto“, sagt Özdemir und zeigt seine Geldkarte. „Berliner Sparkasse“, fügt er noch hinzu und schaut einen erwartungsvoll und herausfordernd an. Traut er sich oder traut er sich nicht?

Na klar, entgegnet man ihm; und er beobachtet genau, ob die zehn Zahlen seiner Kontonummer 6011438278 auch richtig notiert werden.

So springt das Gespräch in der nächsten halben Stunde ständig und herrlich chaotisch hin und her. Und es wird schnell klar, dass dieser Oktay Özdemir ein Naturtalent zum Spielen hat und es perfekt versteht, die Grenzen zwischen Sein und Schein ständig wieder aufs Neue zu verwischen. Gerade spricht er von den vier Wochen Probe, die für die Schauspieler ein riesengroßer Spaß waren. Er spricht voll Respekt von den Schauspielkollegen aus dem Ensemble des Hans Otto Theaters, die neben dieser Probenarbeit noch in zahlreichen Aufführungen Abend für Abend auf der Bühne stehen. „Das ist die reinste Sklaventreiberei. Nur Peitsche, aber kein Zuckerbrot.“ Und dann spricht er vom Chef des Hauses, Tobias Wellemeyer, dessen Namen er erst in diesem Gespräch erfährt.

„Schon peinlich, dass du mir den Namen sagen musst. Seit vier Wochen ist er mein Brötchengeber, hat sich aber noch nicht einmal vorgestellt“, sagt Özdemir. Dann überlegt er, ob er böse Dämonen auf das Haus hetzen solle. Bisher halte er sie noch zurück.

Und wie, bitteschön, hält er diese Dämonen in Schach?

„Als ich das erste Mal hier war, habe ich in alle vier Ecke gepisst. Ich bin nebenberuflich auch Schamane.“

Dann erzählt Özdemir, dass er aus einer Zirkusfamilie stamme. Und als man skeptisch zurückfragt, ob das jetzt so stimme, schnellt sein Oberkörper nach vorn und er bellt: „Ich komm aus Kreuzberg, du Muschi. Das ist ne einzige Bühne. Da trittst du auf die Straße und bist Opfer oder Täter!“

Da ist er, der Schauspieler Oktay Özdemir, ein reinstes Intensitätsbündel, dessen so intensives Spiel wie in „Knallhart“ oder „Wut“ einem auch nach Jahren noch so präsent ist, als hätte man den Film erst gestern gesehen. Und wie schon Khalid schließt man auch diesen sympathisch durchgeknallten Kerl in sein Herz und sagt nicht nein, als er vorschlägt, einen Kaffee auszugeben. Da bleiben dann noch ein paar Minuten, bis Oktay Özdemir zusammen mit seinem Regisseur Lukas Langhoff zurück nach Berlin fährt. Und in diesen Minuten spricht er dann über Khalid und dessen „Verfluch mich noch mal“.

Ein hochsensibler Kerl sei das, dieser Khalid, sagt Özdemir. Und dass er oft über dessen komische Sprache nachgedacht habe. „Warum sagt er ausgerechnet: Verfluch mich noch mal? Vielleicht weil er voller Wut ist, die raus muss, er trotzdem aber nicht den Menschen zu nahe treten will?“ Für einen Moment ist Özdemir in Gedanken versunken. „Aber diese Sprache ist schon komisch. Nicht mal Kanakdeutsch ist das. Das ist wenigstens cool. Das hier ist Dorftrotteldeutsch.“ Und dann fixiert er einen wieder und sagt: „Aber ich mach das schon.“

Es klingt wie eine Drohung. Eine Drohung der Art, die man wirklich gern hört.

Premiere von „Adams Äpfel“ am Freitag, 4. März, 19.30 Uhr in der Reithalle in der Schiffbauergasse. Karten unter Tel.: (0331) 98 11 8

Dirk Becker

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