Von Babette Kaiserkern: Verführung – Überschwang
2. Sinfoniekonzert der Kammerakademie Potsdam
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Erst am vergangenen Sonnabend wurde in Leipzig das Bronzedenkmal von Felix Mendelssohn Bartholdy wieder aufgestellt – 72 Jahre nachdem es von den Nazis gestürzt wurde. Viel zu lange stand der Komponist in dem Schatten, in den ihn der Naziwahn vertrieben hatte. Dabei komponierte wohl niemand im 19. Jahrhundert in Deutschland so reine, anmutige, liebenswürdige Musik wie Mendelssohn, der „Romantiker in der Melodie und Klassiker in der Form“ (W. Schreiber). Davon konnten sich die Zuhörer beim 2. Sinfoniekonzert mit der Kammerakademie Potsdam, der Sopranistin Ruth Ziesak unter der Leitung von Michael Sanderling am vergangenen Sonnabend im nicht ausverkauften Nikolaisaal überzeugen.
Vorneweg wurde eine Ouvertüre für Streicher von Witold Lutoslawski serviert, nicht direkt ein Gaumenschmeichler, aber interessant, zudem äußerst kurz und knapp, so dass sie kaum ins Gewicht fiel. Dabei ist die Musik des polnischen Komponisten spannend, vielschichtig und überraschungsvoll. Unterschiedlichste, auf engstem Raum komprimierte Klänge bestimmten die kaum fünf Minuten lange Ouvertüre, die von den Streichern der Kammerakademie mit notwendiger Akkuratesse und mit Spiellust bewältigt wurde.
Bis heute sind Felix Mendelssohns „Lieder ohne Worte“ bekannter als die Lieder mit Worten. Das mag an ihrer vergleichsweise traditionellen Kompositionsweise liegen, die ganz auf die musikalische Textauslegung setzt. Doch welch zauberhafte Melodien findet Mendelssohn zu den Gedichten von Heinrich Heine, Joseph von Eichendorff, Nikolaus Lenau und anderen überwiegend romantischen Dichtern!
Wie geschaffen ist die helle, pure, bewegliche Sopranstimme von Ruth Ziesak für diese Gesänge, die von Siegfried Matthus für großes Orchester neu gefasst wurden. Nur manchmal, wenn die Glöckchen klingeln und die Harfe selig säuselt, wirkt die sehr farbige Instrumentation zu plakativ.
Speziell die vier der bekanntesten der „Lieder ohne Worte“ klingen zu sehr nach symphonischer Weichspülung für“s Klassikradio. Zuckersüßen Streicherschmelz versprüht die Nr. 11, die von den Stimmführern der Streicher (Violine: Peter Rainer) und Harfe sehr klangvoll gespielt wird. Weniger schadet die orchestrale Aufbereitung den Liedern mit Worten, zumal dann, wenn sie so exzellent wie von Ruth Ziesak gesungen und so empfindsam gespielt werden wie von der Kammerakademie Potsdam.
Als „eine griechisch schlanke Maid zwischen zwei Nordlandriesen“ bezeichnete Robert Schumann die vierte Sinfonie von Ludwig von Beethoven. Sie war einer der größten Erfolge Beethovens zu Lebzeiten, heute wird sie eher selten gespielt. Auf die ungemein geheimnisvolle, geradezu gespensterhafte Einleitung folgt ein stürmisch-drängendes Allegro vivace. Das folgende Adagio wirkt, als könne es sich nicht entscheiden zwischen zarten Glitzerklängen und forderndem Auf- stampfen. Einerseits produzieren Flöte und Violinen verführerisch anschwellende Tonwogen, andererseits klopft die Pauke immer wieder beharrlich dazwischen. Vielleicht hätte man hier einfach besser auf sie verzichtet – im Gegensatz zum Menuetto mit seinem kleinen, sausenden Wirbelsturm der Töne. Im vierten Satz überfallen den Hörer ungebremster Überschwang, heftige Temperamentsausbrüche, wildes Vorwärtsstürmen.
Doch was früher Begeisterung auslöste, wirkt heute eher altmodisch und einfältig. Es zeigt sich, dass ein Paradigmenwechsel von Beethoven zu Mendelssohn an der Zeit ist.
Babette Kaiserkern
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