Kultur: Verführung zum Innehalten

Die Installation SICHTBAR zeigt nächtliche Potsdam-Impressionen Schaufenster haben eine ganz bestimmte Funktion. Sie sollen nicht nur über das Warenangebot des jeweiligen Geschäftes informieren, sondern den potentiellen Kunden oder die Kundin locken und dazu verführen, Kaufwünsche zu entdecken, von denen der Straßenbummler eben noch gar nichts wusste. Das aktuelle Schaufenster der Brandenburger Straße 69 setzt offensiv auf Verführung. Wer sehen will, was die SICHTBAR zu bieten hat, muss ganz nah herantreten. Ein Sehschlitz verspricht Einblicke, allerdings erst, nachdem ein Knopf gedrückt wurde. Wer neugierig genug ist und 15 Sekunden ausharrt, bekommt Überraschendes zu sehen und zu hören. Die fragilen Töne eines E-Bows, eines Elektrobogens, erklingen und vor den Augen erscheinen Bilder, die in ihrer Dreidimensionalität zugleich greifbar wie auch surreal wirken. In einem Zyklus von fünfeinhalb Minuten leuchten zwölf Bilder auf. Die 3-D-Verfahren entstandenen Aufnahmen zeigen nächtliche Impressionen von Potsdam. Mit Bedacht wählte Christian Uibel für seine fotografischen Inszenierungen eher weniger beachtete Plätze der Stadt, wie die Fassade des Rechenzentrums, einen leer stehenden Laden in der Charlottenstraße oder das Denkmal des unbekannten Deserteurs. Jeder dieser Orte entfaltet im Blick des Fotografen seine magischen Momente, so die vom Laternenlicht durchflutete große Treppe in der Weinbergstraße. Auf einigen Aufnahmen tauchen Menschen auf, doch die Mehrfachbelichtungen lässt ihre Körper durchsichtig erscheinen. Die Stadt wird zur Kulisse phantasierter Möglichkeiten, während minimalistische Klänge die Bilder akustisch verbinden. Mit dieser Hommage an seine Heimatstadt möchte Christian Uibel, der sich selbst als Musikograph bezeichnet, die Potsdamer und die Gäste der Stadt überraschen und auf die Attraktionen abseits der touristischen Pfade hinweisen, die auch im Alltagsleben der Potsdamer häufig übersehen würden. Gerade die Brandenburger Straße und ihr Image als Ort eiliger Erledigungen sei ideal für sein Vorhaben. Die Menschen sollen in der Hektik des Einkaufsstresses zum Innehalten und Verweilen verführt werden, wobei die Einladung unendgeldlich und unverbindlich gilt. Dass einige Fußgänger hinter der Installation eine Verführung ganz anderer Art vermuten, amüsiert den 33-Jährigen. Es sei Zufall, dass seine technische Realisierung der Sichtbarmachung von 3-D-Aufnahmen an die Vermarktung von Erotik in Peep-Shows erinnere. Gemeinsam sei beiden die Lust am Sehen. Der Umstand, dass jeweils nur ein einzelner Mensch die Bilder betrachten kann, ist dem Wunsch geschuldet, die Installation leicht zugänglich zu machen. Er wollte gerade nicht einen Galeriecharakter bedienen, sondern habe nach einer Plattform gesucht, die weniger elitär wirkt. Ohne die Hilfe von Freunden und Bekannten hätte er sein ambitioniertes Projekt kaum verwirklichen können, betont Christian Uibel. Für die Außengestaltung gewann er die Graphikdesignerinnen Alexandra Klatt und Saskia Kurzweg. Mit den Potsdamer Musikern Gernot Pohle und DJ Knick Neck nahm er die akustische Begleitung der Bilder auf, während andere ihm bei der technischen Realisierung der Installation halfen. Es ist die zweite Installation dieser Art, die der Potsdamer realisiert hat. Im Jahre 2001 nutzte er ein verwahrlostes Toilettenhäuschen auf dem Bassinplatz. Nach einigen Wochen allerdings waren die Installation zerstört und alle technischen Geräte und sämtliche Dias gestohlen. Obwohl in der bewohnten und belebten Brandenburger Straße ähnliches nicht zu erwarten ist, bleibt die SICHTBAR in den Nachtstunden geschlossen. Mit dem Öffnen der Geschäfte werden auch hier die Rollos hochgezogen und der Blick freigegeben auf einige magische Momente, die Lust auf einen nächtlichen Streifzug durch die Stadt machen, deren mangelnde Attraktion in den Abendstunden sonst allenthalben eher beklagt wird. Lene Zade Sichtbar, täglich bis zum 30. November, 10 bis 20 Uhr, Brandenburger Straße 69

Lene Zade