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Von Peter Buske: Vergnügliches mit Wutausbrüchen Kutschstall: Soiree zu Wilhelm Kempff

Ein Telegramm aus Uppsala, 1919, vermeldet: „Wilhelm füllt Säle und Seelen.“ Längst war aus dem einstigen Wunderkind – das bereits mit sechs Jahren komponierte ohne dabei Noten schreiben zu können, das mit zehn das Wohltemperierte Klavier von Bach auswendig vorzutragen und in alle Tonarten zu transponieren verstand – ein bemerkenswerter Künstler geworden.

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Ein Telegramm aus Uppsala, 1919, vermeldet: „Wilhelm füllt Säle und Seelen.“ Längst war aus dem einstigen Wunderkind – das bereits mit sechs Jahren komponierte ohne dabei Noten schreiben zu können, das mit zehn das Wohltemperierte Klavier von Bach auswendig vorzutragen und in alle Tonarten zu transponieren verstand – ein bemerkenswerter Künstler geworden. Ähnlich wie der legendäre Dirigent Wilhelm Furtwängler verstand Wilhelm Kempff (1895-1991) sich zeitlebens als Dreifachbegabung von Pianist, Komponist und Dirigent.

In seiner Autobiografie „Unter dem Zimbelstern – Vom Werden eines Künstlers“ sucht der mittlerweile 55-Jährige seinen Entwicklungsweg zu erklären. Mit einer gehörigen Portion Distanz und Einfühlsamkeit, mit Erkenntnissen der gereiften Persönlichkeit, mit wohltuenden Prisen von Humor und Ironie.

Aus ihr las Klaus Büstrin auf höchst anschauliche, vergnüglich zu lauschender Weise bei einer beifallsfreudig aufgenommenen musikalisch-literarischen Soiree im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte wesentliche Kapitel: von der musikalischen Ausrichtung der Kempffschen Großfamilie, vom Erwachen heiterer Gefühle bei der Erkundung des väterlichen Pedalklaviers und den wortwörtlichen Ertastungen der Mozartschen G-Dur-Sonate Bei derlei erheiternden Betrachtungen geht den Zuhörern immer wieder der Blick zu den Exponaten der Kempff-Ausstellung, in der sich das 50-köpfige Auditorium für anderthalb Stunden sitzbequem und gedanklich aufgeschlossen eingerichtet hat.

Wir erfahren von der Fassungslosigkeit des Vaters über die Begabungen seines Jüngsten, folgen dessen Eintritt ins „unaufhörlich tönende Reich“ der Musikschule mit Probespiel und Gehörprüfung, folgen den Erinnerungen an die Übungsstunden im liturgischen Chor von St. Nikolai, den Vater Kempff leitet. Und erhalten Kunde, dass es schon damals während der Gottesdienste mit der „Watteakustik“ und ihren schlafanimierenden Folgen so seine Tücken hatte. Schließlich darf Jung-Wilhelm an die Sauer-Orgel, die er im Stehen spielt, weil er sitzend nicht das Pedal erreicht. Seither ist ihm das Orgelspiel eine „lebendige Predigt in Tönen“. Auf dem Schulhof wird er alsbald als Wunderkind gefeiert. Er darf die musikalische Begleitung von Hochzeiten übernehmen, kauft sich von den erhaltenen „Trauungsgeldern“ den kompletten Shakespeare. Alsbald träufelt der Pucksche Zaubersaft sich auch ihm in die Seele. Er ist verliebt. Und spielt fortan ganz anders

Was man von Kensei Yamaguchi nicht behaupten kann, der die Lesung mit Stücken, die zum Kempff-Repertoire gehörten, bereichern will. Wie das auf einem total verstimmten Flügel der Marke Wilhelm Spaethe, Gera (vom Ende des 19. Jh.) gelingen soll, bleibt nicht nur ihm ein Rätsel. Hört sich das Instrument bei Bachs e-Moll-Toccata BWV 913 noch wie ein Hammerklavier an, wimmert es bei Brahmsens Andante aus der h-Moll-Sonate nur noch still und weltschmerzreich vor sich hin. Für beide Stücke setzt Yamaguchi viel rechtes Pedal ein, sodass trotz harten Anschlags ein weitgehend romantisch-verschwommenes Klangbild entsteht. Beiden Komponisten ist damit nicht gedient.

Auch nicht Beethoven mit seinen Eroica-Variationen op. 35, die er überakzentuiert und kraftdonnernd, mitunter geradezu wie einstürzende Altbauten präsentiert. Heroisches hört sich anders an: differenzierter, geschmeidiger und ausdrucksvariabler. Waren seine pianistischen Wutausbrüche vielleicht Reaktionen auf die Flügeltücken?!

Peter Buske

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