Kultur: Verharren in der Form
Im Kunsthaus zeigen sechs Künstler Arbeiten, die sich ganz auf Farbe und Struktur konzentrieren
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Im tiefen Blau eines Bildes „ohne Titel“ von Gabriele Schade-Hasenberg spiegeln sich die Schatten der Figuren im Raum. Die glänzende Oberfläche zieht den Betrachter in das Monochrome, mal Senfgelbe, mal Bordeauxrote und mal Orange ihrer Bilder hinein. Drei Künstlerinnen und drei Künstler zeigen im Kunstverein Kunsthaus unter dem Titel regular/irregular Arbeiten, die vom Bruch mit der Gewohnheit, der Abweichung von der Regelmäßigkeit handeln.
Sie zeigen Linien, mit Tusche gezogen oder aus Metall gebogen, Flächen, mit Farbe gemalt oder in Holz gestaltet. Die Bilder und Formen greifen einen Diskurs auf, der am Beginn des vergangenen Jahrhunderts entstand und seitdem nicht abgerissen ist: Es ist die Frage nach dem Wesen der Farbe, der Form, der Essenz einer Kunst, die keine Narrative vermittelt, sondern ihre Kraft unmittelbar aus elementaren gestalterischen und formalen Mitteln gewinnt. Es ist eine Gegenposition zu der Kunst, die sich insbesondere im Kunstmarkt als eine Kultur des laut herausgeschrienen Spektakels etabliert hat und die oftmals mit grellen Bilderfolgen Aufmerksamkeit um jeden Preis erheischen will. Die sechs Positionen benötigen die kontemplative Stille, die sie im weißen, von Licht durchfluteten Raum des Kunsthauses erhalten.
„Für den Betrachter ist es entscheidend, dass er sich einlässt auf diese Werke“, schreibt Tobias Hoffman, Direktor des Bröhan-Museums in seiner Eröffnungsrede zu der Ausstellung. Denn es gehe um das „Sichtbarmachen der feinen Nuancen“. Diese Differenziertheit, das Ausformulieren von Nuancen wird ebenso in den Tuschzeichnungen von Suzanne Daetwyler offensichtlich wie in den dünnen Stahlkonstruktionen von Jean Mauboulès. Daetwyler schafft aus kaum zentimeterlangen Tuschestrichen großformatige Zeichnungen. Es entsteht ein Raster, in dem sich die einzelnen Strichelemente ballen, wieder auflösen und so eine feinmaschige Struktur bilden. Die so strukturierten, geometrischen Zeichnungen benennen zwar ausdrücklich nichts, was außerhalb ihrer zeichnerischen Realität liegt. Aber sie lassen Gedanken an die Philosophie des Strukturalismus aufkommen, wie Hoffmann betont. Struktur und Raster seien im Alltag allgegenwärtig. Der Gedanke Hoffmanns ist naheliegend: Das Internet ist letztlich eine Struktur von stringent geformten Textzeilen verschiedener Programmsprachen. Das Navi im Auto funktioniert nur, weil Satelliten ein GPS-Raster zur Verfügung stellen, mit dem bald der ganze Erdball erfasst wird. Und die NSA ist bestrebt, alle elektronische Kommunikation in einer umfassenden Struktur zu sammeln und abzubilden.
So können die Strichraster von Daetwyler trotz ihrer ausdrücklichen Verweigerung gegenüber jeder erzählerischen Bildtradition als ein Kommentar auf die gegenwärtige Verfasstheit der Gesellschaft gelesen werden. Die Stahlkonstruktionen Jean Mauboulès’ allerdings verschließen sich zunächst einer Deutung. Die geometrischen Formen Kreis, Rechteck und Dreieck haben sich zu sparsamen Gebilden zusammengefunden. Sie fordern den Betrachter auf, über die Fragilität der Linie und des Zusammentreffen von zwei einfachen Grundelementen zu sinnieren. Die Wand benötigen sie als Widerpart, an dem sie hängen, der aber auch, wie ein Sockel, die Grundlage bildet, auf der sie sich in der vertikalen Fläche behaupten. Verknüpft werden die einzelnen Elemente nur an einem winzigen Punkt. Doch dieses Zusammentreffen lässt an Prozesse denken, in denen Getrenntes zueinanderfinden möchte und es doch nicht wagt, eine wirkliche Verbindung einzugehen.
Geisterhaft erscheinen die Leinwandzeichnungen von Ingrid Kerma. Mit dünner weißer Acrylfarbe und breitem Strich auf eine tiefschwarze Fläche gezogen, entstehen hauchzarte Gebilde. Urs Hanselmann schafft aus Holz Formen, die er gelegentlich bemalt, aber an anderen Stellen in ihrem rohen Urzustand belässt.
Als Bezugspunkt der Ausstellung nennt Hoffmann die Konkrete Kunst, wie sie 1930 der holländische De-Stijl-Künstler Theo van Doesburg formuliert hat. Die einzelnen Objekte seien „vollwertige, mit sich selbst identische Objekte“, die ausschließlich auf den „objektiven Sachverhalt unabhängig vom Individuum des Künstlers“ verweisen. Das Sehen müsse neu gelernt werden. Es ist aber durchaus zweifelhaft, ob die Fragestellung und Aufforderung zum „neuen Sehen“, die vor knapp hundert Jahren völlig neu und verblüffend war, nicht mittlerweile ein wenig von ihrer Aktualität verloren hat. Nachdem die elementaren Mittel künstlerischer Gestaltung wie Farbe, Form und Gegenstand ungezählte Male durchdekliniert worden sind und die Welt aus allen Fugen zu geraten droht, stellt sich schon die Frage, ob der Rückzug auf rein formalistische Positionen noch zeitgemäß ist.
Die Ausstellung regular/irregular ist noch bis zum 31. August im Kunsthaus, Ulanenweg 9, zu sehen. Geöffnet ist immer mittwochs von 11 bis 18 Uhr, donnerstags und freitags von 15 bis 18 Uhr und am Wochenende von 12 bis 17 Uhr
Richard Rabensaat
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