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Kultur: Verirrte Augenblicke

Lässig und elegant: Der französische Chansonier Matthieu Vermeulen im Nikolaisaal

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Ein langer Mensch in schwarzen Jeans und schwarzem Hemd erscheint, setzt sich an den Flügel, schlägt einige Akkorde an und sogleich applaudiert das Publikum im gut gefüllten Foyer des Nikolaisaals. Matthieu Vermeulen hat gerade mal eine CD mit einer 5000erAuflage veröffentlicht und trifft selbst fern seiner Heimat schon auf echte Fans. Unterstützt wird er von der Alliance Française und dem rührigen Exportbüro für französische Musik. Als der schlaksige Mittdreißiger das Titellied seiner CD „Le pianiste de transatlantique“ anstimmt, verbreitet sich unbekümmerte Stimmung im Saal. Wahre Begeisterung für den französischen Nachbarn, seine elegante Sprache und lässige Musik lebt auf.

Matthieu Vermeulen kultiviert die französische Chansontradition als Genre der kleinen Geste, des poetischen Augenblicks mitten im Alltag. Mit Worten weiß er ebenso gewandt umzugehen, wie mit seinen Fingern, die locker über die Tasten hüpfen. Humorvoll und zärtlich fängt Vermeulen Stimmungen, Gefühle und Beobachtungen ein. Aus diesen Schnappschüssen des Lebens entstehen musikalisch-poetische Petitessen mit sprödem Charme.

Pittoresk wie die Chansons sind schon deren Titel „Les mamans dans les squares“ (Die Mütter auf den Plätzen), „Ma petite World Company“ (Meine kleine Welt Company), „Une Grenadine avec une paille“ (Eine Grenadine mit einem Strohhalm). Vielleicht beschreibt „La valse des non-dits“ (Der Walzer des Nicht-Gesagten) Vermeulens Stil am besten. Er versteht es, den „verirrten Augenblicken, den kleinen Momenten des Lebens“ eine Form und einen Sinn zu geben.

Dabei singt Vermeulen eigentlich nicht, vielmehr pflegt er eine Art Sprechgesang, der Melodien bloß andeutet, lieber lakonisch erzählt und sich nie dem großen Ton, der großen Geste hingibt. Auch das Klavierspiel bleibt verhalten und reduziert, nur wenige Akkorde, luftige Einzeltöne, schlichte Rhythmen genügen zur Untermalung. Ein Gitarrist (Joël Coquet) schlägt rhythmisch kurze Akkorde oder zupft minimalistische Tonketten. Auch auf der CD, deren Stücke im Nikolaisaal erklingen, ist die Instrumentierung nicht wesentlich opulenter, nur etwas abwechslungsreicher mit gelegentlichen Einsätzen von Akkordeon oder Saxophon.

Die Größe von Vermeulens Liedern liegt in ihrer Kleinheit. Der aus der französischen Kleinstadt Rouen gebürtige Dichter-Sänger steht schon seit fünfzehn Jahren auf den kleinen Bühnen Frankreichs. Es scheint, als habe er mit seinem Album „Le pianiste du transatlantique“ zu seinem eigenen Stil gefunden. Viel Beifall für ein sehr individuelles Konzert mit einem faszinierenden französischen Künstler. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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