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Kultur: Verklungen

Der Musiker Günther Freund erinnert sich

Stand:

Im Jahre 1966 kam ich als frisch gebackener Pauker von der Musikhochschule Leipzig in das Orchester des Hans Otto Theaters. Das Probespiel fand unter erbärmlichen Bedingungen statt. Schrottreife Pauken, die kleine Trommel hatte Ähnlichkeit mit einer Konservendose, Becken, die zwischenzeitlich als Kochtopfdeckel in der Kantine zu dienen schienen, waren mehr als erschreckend.

Dennoch nahm ich die Stelle an. Chefdirigent Günther Herbig versicherte, dies sei nur ein Provisorium für eine kurze Zeit: In absehbarer Zukunft werde ein neues Theater gebaut, das Modell könne man besichtigen. Und so wurde das Orchester vergrößert und die Leistungen immer besser. Aber ein neues Theater lag in weiter Ferne.

Unvergesslich sind mir aber die Peter-Brähmig-Inszenierungen von „Hoffmanns Erzählungen“ auf der Bühne in der Zimmerstraße oder „Die Zauberflöte“ im Schlosstheater im Neuen Palais. Es wurde auch die LPG-Oper „Regine“ von Joachim Werzlau gespielt. Da kamen zu den Vorstellungen nur wenige Zuschauer. So setzte man in den Saal hin und wieder eine Kompanie NVA-Soldaten, die nach der Pause in der Kantine zu finden waren.

Neben dem Opern- und Operettenbetrieb gab es auf der kleinen und viel zu schmalen Bühne in der Zimmerstraße sehr gut besuchte Sinfoniekonzerte. Hier wähnte man sich als Musiker wie in einem Korridor. Wir spielten eine große Palette der Musikliteratur: Klassik, Romantik, Moderne. Höhepunkte waren stets im Sommer die Konzerte in der Bildergalerie Sanssouci.

Lange Zeit regierte Gero Hammer das Drei-Sparten-Theater. Bei seinen finanziellen Entscheidungen kam das Orchester schlecht weg, obwohl es die größte Sparte des Hauses war. Die Ausrüstung für Instrumente blieb unter dem Notwendigen, die Stimmzimmer waren extrem klein. Für die großen Instrumente wie Pauken, Schlagzeug, Harfe, Kontrabässe gab es keine Extra-Räume, keine Möglichkeit zum Üben. Mir war es gelungen, die Bühnentechniker mit einem Kasten Bier zu „bestechen“. Dann durfte ich in den Keller mit meinen Pauken und proben.

Kurz vor der Wende hatte sich die SED-Führung aufgerappelt, den seit Jahrzehnten versprochenen Theaterneubau auf dem Alten Markt zu verwirklichen. Doch als die Wende und neue Zeiten kamen, hieß es: Der SED-Bauklotz muss weg. Und er kam weg.

1990/91 begann für die Musiker mit dem Intendanten Guido Huonder eine hoffnungsvolle Zeit. Im ehemaligen Kinosaal der NVA in der Schiffbauergasse erhielten wir endlich einen angemessenen Probenraum. Der Intendant unterstützte die Bestrebungen, das Orchester als eine selbstständige Einrichtung mit eigenem Namen in der Landeshauptstadt zu verankern, als Brandenburgische Philharmonie Potsdam.

Generalmusikdirektor war zu dieser Zeit Stefan Sanderling. Als das Theater in der Zimmerstraße geschlossen wurde, stellte man die „Blechbüchse“ auf den Alten Markt, wieder ein unzureichendes Provisorium. Obwohl das Orchester in seiner Heimatstadt und auf vielen Konzertreisen große Erfolge feiern konnte, wurde die Philharmonie vor nunmehr zehn Jahren aufgelöst. Der damalige Oberbürgermeister Matthias Platzeck gehörte zu denen, die dem Orchester den Garaus machten. „Wenn die Schulen keine Dächer haben, dann können wir uns kein Orchester leisten“, hieß eines seiner Argumente. Aber ausgerechnet die Musiker haben in ungezählten Schulkonzerten Kindern und Jugendlichen musikalische Bildung gebracht. Inzwischen haben wir zwar ein neues Theater, doch kein großes Opern- und Konzertorchester mehr.

Aufgezeichnet von Klaus Büstrin

Aufgezeichnet von Klaus Büstrin

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