
© M.Thomas
Kultur: Verlassene Welten
Peter Weiß malt mit echten Rostpigmenten. Seine ,„OxydAktionen“ zeigt er derzeit in der Galerie Sperl
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Fast meint man, rostigen Staub in den Lungenflügeln zu spüren. Es ist ein intensiver Eindruck, die Peter Weiß’ Gemälde hinterlassen. Die rostroten Farbpartikel bleiben lange im Gedächtnis haften. „Auf meinem Weg zum Abstrakt-Realen bin ich dem geheimnisvollen und eigenwilligen Rost begegnet, der mich fesselt, anstiftet und anregend unterhält“, sagt Weiß zu den Bildern seiner Ausstellung „OxydAktionen“, die derzeit in der Galerie Sperl zu sehen ist.
Tatsächlich fesselt der Rost auf eigenartige Weise. Auf dem Bild „Lilith“ fliegt ein zitronenförmiger Komet wie eine verglühende Wolke durchs schwarze Weltall – alles um ihn herum explodiert in wunderbar rostigen Farben, von ockergelb bis hirschfellbraun. Irritiert steht der Betrachter vor der Leinwand: die gesamte Bildoberfläche wirkt verrostet, doch muss es ganz klar flüssige Farbe gewesen sein, die hier verwendet wurde. Spritzer und Kleckse sind im Feuerschweif zu erkennen, und die Farbkontraste können nicht zufällig entstanden sein. Peter Weiß klärt die Verwirrung auf: „Es sind echte Rostpigmente, die ich aus alten, verrosteten Rohren klopfe und die ich mit einem Bindemittel zu einer auftragbaren Masse mische.“ Die wird dann mit Pinseln, Spachteln und – im Fall von „Lilith“ – mit groben Bürsten auf die Leinwand aufgetragen. Auf andere Bilder trägt er eine pastose Eisengrundierung auf, die sich wie ein Relief von der Bildoberfläche abhebt. Wird diese dann mit Oxidationslösung bestrichen, beginnt sie zu rosten.
Dass das Malen mit Rost ein sehr geduldiges Arbeiten erfordert, lassen schon die vielfältigen Schattierungen der Gemälde erahnen. Um zu beeinflussen, ob das Eisen kastanienbraun oder ziegelrot oxidiert, bedarf es eingehender Kenntnisse und vieler Experimente. „Ein müßiger und langer Prozess“, sagt Weiß. Dabei hat der 1940 geborene Künstler eigentlich Architektur studiert und lange Zeit als Stadtplaner gearbeitet. Er entwickelte zahlreiche Wohnungsbauprojekte und städtebauliche Konzepte – beispielsweise für die „HafenCity“ in Hamburg. In seiner freien Zeit widmete er sich aber immer der Malerei - „losgelöst von der Strenge und der Disziplin meines Berufs“. Vielleicht erklärt sich hieraus, dass seine Werke so oft zwischen Realität und Fantasie, zwischen Abstraktem und Figürlichem changieren. Denn ist das überhaupt ein Komet, der da in „Lilith“ über die Leinwand rast? Lilith ist nicht der Name eines realen Himmelskörpers, sondern der einer sumerischen Göttin, die im Laufe der Geschichte für vieles stand. So wird sie in Goethes Faust als Adams erste Frau beschrieben, anderswo als Ambivalenz der Seele. Später wurde sie zur Symbolfigur der Emanzipation. Bild und Bildtitel stehen also in einem spannenden Verhältnis. Das ist von Weiß durchaus gewollt: „Dem Grunde nach habe ich Schwierigkeiten, Bildern einen Titel zu geben, weil der Betrachter vorbelastet wird. Aber diesmal war es auch ein Spiel.“ So entsteht auch erst die erotische Aufladung des Bildes „Vorspiel“: Ein kurviger Frauenkörper aus lehmbraunem Rost tanzt vor einem weißen Hintergrund. Feine Pinselstriche fügten goldene Reflexe hinzu. Doch eindeutig wird die Szene erst durch den Bildtitel.
Gestoßen ist Weiß auf seine ergiebiges Medium in der „Carlshütte“ – einer stillgelegten Eisengießerei bei Rendsburg, die Ende der Neunzigerjahre von einer Künstlergruppe zu einem Ausstellungsort umgebaut wurde. Die alten Industriedetails hätten ihn sofort begeistert und inspiriert, sagt Weiß. „Das Problem war der Rost. Mit herkömmlichen Farben bekommt man die Vielfältigkeit des Rostes nur ungenügend hin. Es musste also aus meinen Vorstellungen heraus echter Rost sein. Es hat schon eine Weile gedauert, bis ich zufrieden war“, erinnert er sich. Die Rost-Bilder rufen in all ihrer Schönheit Assoziationen an versunkene Schiffwracks, an verlassene Welten wach. Dieses leichte Erschauern wird aber nur in Angesicht der Originale spürbar. Schon deshalb lohnt ein Besuch der Galerie. Linda Huke
Bis 29. September in der Galerie Sperl, Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Geöffnet von Mittwoch bis Sonntag von 12 bis 18 Uhr
Linda Huke
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