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Kultur: Vernissage mit ideologischen Krämpfen Kleist-Ausstellung im Truman-Haus

Was wäre eigentlich mit einer Ausstellung, die sich wichtiger nimmt als die Intelligenz ihrer Besucher – und mit Besuchern, die tatsächlich klüger wären als die hochgelehrten Expositeure samt ihrer Laudatoren? Eine solche Ausstellung würde wahrscheinlich da landen, wo Brecht den freß- und eroberungssüchtigen Feldherrn Lukullus hinschickte – im Nichts.

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Was wäre eigentlich mit einer Ausstellung, die sich wichtiger nimmt als die Intelligenz ihrer Besucher – und mit Besuchern, die tatsächlich klüger wären als die hochgelehrten Expositeure samt ihrer Laudatoren? Eine solche Ausstellung würde wahrscheinlich da landen, wo Brecht den freß- und eroberungssüchtigen Feldherrn Lukullus hinschickte – im Nichts. Fast wäre das auch einer Schau zu wünschen, die sich im „Kleist-Jahr 2011“ erlaubt, den gleichnamigen Dichter nach den heutigen Regeln des Seins vor den Prämissen von gestern zu schützen, sich gegen gewisse „Vereinnahmungen“ und „Entstellungen“ der Vergangenheit zu verwahren, indem man sich seiner mit angeblich besserem Wissen selber bemächtigt, ihn zähmt und der gerade herrschenden Meinung einverleibt. Wo immer das passiert, sind Ideologen mit klarer Absicht am Werk.

Hatte man nicht erst neulich in der Villa Quandt gehört, wie Fontane seit der Reichsgründung 1871 von wirklich allen Fahnen, die nach ihm kamen, je nach Gusto ge- oder missbraucht wurde? Nun also Kleist, Deutschlands tiefster und wichtigster Dramatiker. Unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit wurde am Montag in der Friedrich-Naumann-Stiftung am Griebnitzsee eine Tafel-Ausstellung zum Thema „Heinrich von Kleist im ,Dritten Reich’“ eröffnet. Ein bisschen ist sie schon „gebraucht“, Teile davon waren 2008 auf Schloss Neuhardenberg zu sehen. Genauso alt ist auch das dazugehörende Buch des Literaturwissenschaftlers Martin Maurach, nach Kleist mit „Betrachtungen über den Weltlauf“ (Verlag Theater der Zeit, 16 Euro) betitelt. Da es sich um eine Gemeinschaftsproduktion zwischen dem Frankfurter Kleist-Museum und der Naumann-Stiftung handelt, begann Maurach seine Einführung mit der stiftungsnahen Frage, ob besagter Autor nicht „auch für die Freiheit“ gewesen sei. Die Antwort klang etwas verwaschen. Seine ideologischen Positionen waren dafür politisch korrekt und auch sonst sternenklar: Auf der einen Seite betonte Maurach immer wieder, wie sehr Kleist von den Nazis „missbraucht und deformiert“ worden sei, andererseits vergaß er nicht, die Bedeutung desselben Kerls bei „Widerstand und Exil“ zu betonen, eine Rolle, die offenbar viel grandioser war, als bisher je gehört. Auch von „den Verstrickungen“ der damaligen Kleist-Gesellschaft war mit todernster Miene die Rede: Als ob nicht jeder in seine und seiner Zeit verstrickt wäre – und eine jede sich „ihre“ Dichter stiehlt und ehrt. Das hat man nun davon, wenn man den „Zerbrochenen Krug“ und „Michael Kohlhaas“ schreibt, eine „Hermannsschlacht“, mit der sich in jeden Krieg ziehen lässt, oder „Das Käthchen von Heilbronn“ für die neue Rolle der Frau „unter Hitler“. Natürlich passten all diese Werke in die Strategie des braunen Reiches, in ein nationales Konzept. „Was für ein Kerl!“, urteilte Goebbels 1941. Fazit: Kleist ist mit und ohne Freiheit ideologisierbar, mehr noch als Fontane! Aufbau und Inhalte dieser Schautafeln sind weniger schlimm, als es die verkrampfte Vernissage samt ihrer Klugreden vorgab.

Oben der historische Kontext zu einem Thema, der untere Teil dokumentiert die „kulturpolitische Ausführung“ in den Künsten. Keine Ahnung, warum man sich mokierte, weil „Der zerbrochene Krug“ ab 1936 als Wandertheaterstück zu den Autobahnbauern kam, oder „Kohlhaas“ in mehreren Feldpostausgaben während des Krieges erschien. Über Reinhold Schünzels „Amphytrion“-Verfilmung von 1933 lacht man schließlich noch heute! Weniger ideologische Krämpfe also! Die Ausstellung gibt viel Material, viel Anregung, doch wo der Nießbrauch Kleists endet und sein Missbrauch begann, das bleibt sie dem Publikum zumeist schuldig. Gerold PaulBis zum 16. Oktober im Truman-Haus, Karl-Marx-Straße 2. Mo bis Fr 17 bis 19 Uhr Sa und So 10 bis 18 Uhr

Gerold Paul

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