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Kultur: Verrätselt

Gnaudschuns Fotografien in der Inter-Galerie

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Zwei Monate war Göran Gnaudschun in Osteuropa unterwegs. In Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, in der Slowakei, in Ungarn und Slowenien. Um sich für das Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) zu bewerben, schrieb er ein langes Konzept. Denn schließlich bereiste er die neuen Beitrittsländer zur Europäischen Union, die vor großen wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen standen. Aber wie könnte ein Fotograf, allein mit Rucksack und seiner Kamera, diese Umwälzungen in Bildern festhalten? Gnaudschun merkte, dass er mit dem Beginn seiner Reise das „Festland“ seiner Potsdamer Heimat verlassen hatte. „Man spricht immer dann von Festland“, erklärt der Fotograf den Titel der Ausstellung in der Inter-Galerie im Nikolaisaal, „wenn man wackeligen Boden unter den Füßen spürt.“ Gnaudschun war bei seinen Reisen auf sich selbst gestellt. Die einzige Regel, an die er sich halten wollte, lautete: Sei an keinem Ort länger als drei Tage.

Eine Art der Isolation entstand, eine aus der Einsamkeit kommende Sensibilität, die den Blick auf das Neue beeinflusste. Was während der Expedition zählte, waren nicht mehr Konzepte, sondern die eigene Subjektivität. Sie ließ den Fotografen eine Sandburg in Narwa fotografieren, kurz vor Sonnenuntergang. Narwa galt schon immer als östlichste Stadt Europas, erzählt Gnaudschun. „95 Prozent der Bevölkerung läuft heute mit großen Bierflaschen herum.“ Er selbst wäre sofort aufgefallen, weil er stattdessen Gepäck trug. Zu jeder der 30 Arbeiten gäbe es so eine Episode zu erzählen. Doch das Wann und Wo zählen bei diesen Bildern nicht. Genau genommen, sagt der Absolvent der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, würden die Motive kaum erkennen lassen, dass sie sich in Europas Osten befänden. Ein Blütenbusch, ein Bild aus dem fahrenden Bus über ein Nebelfeld, eine Wolke, die von einem Sendemast aufgespießt zu sein scheint. Und doch. Die fotografische Einsamkeit, die Sprachlosigkeit des auf Englisch und „Rumpelrussisch“ Beschränkten, die Weite und das Licht verbinden sich in allen Werken zu einem Erlebnis, das man Melancholie nennen könnte. Häufig sucht Gnaudschun das Zwielicht, in dem alltägliche Banalitäten, ein zerknautschtes Laken, das Testbild eines Fernsehers, eine beschädigte Schranktür, die Innensicht des Reisenden reflektieren. Für die Schau in Erik Bruinenbergs Galerie hat Gnaudschun 72 Filme belichtet und so ungefähr 2600 Fotos nach Hause gebracht. „Die eigentliche Arbeit, das Zusammenstellen, das passiert am Schreibtisch“, beschreibt der 34-Jährige seine Arbeitsweise. Die Farbaufnahmen, die der Künstler alle eigenhändig entwickelt und auf das Format 24 mal 36 Zentimeter gebracht hat, hängen in hellen Holzrahmen mit Passepartouts. „Schrägschnitt“, kommentiert Gnaudschun, „das geht heute eigentlich gar nicht mehr.“ Er wählte dennoch diese Präsentation, um die Zusammengehörigkeit seiner Bilder zu unterstreichen. Wie ein Film sollen sie wirken. Menschen kommen nur vereinzelt vor. Mal stehen sie in der Düne, wieder in diesem seltsam kalt-warmen Licht. Mal bevölkern sie den Hof einer Plattenbausiedlung. Porträts finden sich nicht. „Die habe ich aussortiert.“ Denn Osteuropa in der Art „Land und Leute“ zu zeigen, das wolle er nun wirklich nicht.

Eröffnung: 26.1., 20 Uhr, Ausstellung bis 11.3., Mi. bis Fr. 14 bis 17 Uhr, Sa. 10 bis 14 Uhr

Matthias Hassenpflug

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