zum Hauptinhalt

Kultur: Versöhnung in A-Dur

Staatsorchester mit großer Sinfonik im Nikolaisaal

Stand:

Staatsorchester mit großer Sinfonik im Nikolaisaal Unwirsch reagiert er auf weibliche Vorhaltungen. Es scheint, als sei von enttäuschter Liebe die Rede. Immer wieder sucht sie ihn zu bezirzen: sanftmütig, mit transparenten und klaren Tönen, saitenvirtuoser Rhetorik. Doch die versöhnlichen Gesten zeigen keine Wirkung. Die Dramatik nimmt ihren Lauf Nein, hier handelt es sich um keinen Ehezustandsbericht, sondern um das Versöhnungswerk von Johannes Brahms mit dem Geiger Joseph Joachim, dem er über die Jahre einige Werke in die virtuosen Finger komponiert hatte. Doch die langjährige Männerfreundschaft bröckelte. Nun sucht Brahms mit seinem Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102 die Risse zu kitten. Es gelingt. In diesem Doppelkonzert ist Joachim, natürlich, die personifizierte Geige, Brahms fühlt sich als Cello. Von diesen außermusikalischen Dingen erzählt die packende Wiedergabe des Werkes durch das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt unter Heribert Beissel am Sonnabend im Nikolaisaal auch optisch eine Menge. Die russische Geigerin Alina Pogostkin, kurzfristig für den erkrankten Pekka Kuusisto eingesprungen, verfügt nicht nur über einen kraftvollen und außerordentlich brillanten Ton, sondern auch über eine markante Körpersprache. Auch wenn sie nicht spielt, nimmt sie regen Anteil am musikalischen Geschehen. An diesem Minischauspiel der Leidenschaften beteiligt sich auch Cellist Daniel Müller-Schott: erst Macho mit zunächst fast ruppigem Ton, dann (im Andante) hingebungsbereiter Partner, schließlich der zügellose Liebhaber, der sich vor Freude über die wiedergewonnene Ex nicht zu fassen vermag. Was die beiden Ausdrucksmusiker vor- und vollführen, erfährt durch das Orchester energische Unterstützung. Mit geradezu theatralischer Spielleidenschaft verfolgen sie den Widerstreit der Gefühle. Sie stacheln den Dialog an, verstehen zu besänftigen, den Versöhnungserfolg in lichtem A-Dur, dem Ausdruck von Zufriedenheit, unschuldiger Liebe und Gottesvertrauen, zu feiern. Des Dirigenten Orientierung auf einen hellen, sehr transparenten Klang erweist sich nicht nur hier als vorzügliches Mittel, übergroßer romantischer Gefühlsduselei ihre Grenzen aufzuzeigen. Statt in Klangbrei zu schwelgen, lässt er Brahmsens letztes Orchesterwerk unverschleiert aufleuchten. Der Beifall gerät darob sehr heftig. Mit Alexander Skrjabins 3. Sinfonie Nr. 3 c-Moll op. 43 breitet sich nach der Pause dieses 10. Sinfoniekonzerts große Sinfonik von wahrhaft durchschlagender Wirkung aus. Ihr kunstreligiöser Anspruch, ein „göttliches Gedicht“ (Le divin Poèm) zu sein, ist nicht gering. Die Introduktion des prometheischen „Ich bin!“ meißeln die Frankfurter Musiker zwar unaufgeregt, aber nicht weniger selbstbewusst in den Raum. Dann beginnen die Kämpfe um den freien Menschen, das Individuum. Musikalisch muskelprotzend geht es dabei zu, wobei trotz Masse des „Fleisches“ jeder Strang und Sehnenansatzpunkt erkennbar wird. Man spielt mit kraftvoller Geste, setzt hemmungslos auf den Überschwang der Gefühle. Göttliches kennt halt keine Grenzen. Man schwelgt in „Genüssen“ (Voluptés), genießt dabei das Raffinement der Orchestrierung, fühlt sich in Naturmalerei wohl, gibt sich nach den ausgetragenen „Kämpfen“ (Luttes) dem „Göttlichen Spiel“ (Jeu divin) hin. Strahlendes C-Dur bekräftigt es: „Ich bin!“ Hoffentlich können solches die Frankfurter Musiker auch weiterhin sagen. Peter Buske

Peter Buske

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })