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Kultur: Verspieltes aus der Orgelliga

Konzert mit Matthias Trommer in der Klein-Glienicker Kapelle

Stand:

Konzert mit Matthias Trommer in der Klein-Glienicker Kapelle „Erst leg'' ich meine Eier, dann rezensier'' ich sie“, gibt die Henne über ihr (moniertes) Gegacker über ein gelegtes Ei zu Protokoll. Zu Papier gebracht hat es Matthias Claudius (1740-1815), begnadeter Dichter und Schriftsteller, Journalist (der den „Wandsbecker Boten“ herausgab) und Briefeschreiber. Biedere Derbheit, Witz und satirische Laune zeichnen seine volkstümlichen Niederschriften aus. Es ist nicht abwegig, manches davon als musikalisierten Lesestoff zu bezeichnen. Er selbst ging diesbezüglich mit gutem Beispiel voran, setzte vor seine Reimereien mitunter musikalische Begriffe wie „Singspiel. Die Henne“ oder „Motetto. Als der erste Zahn durch war“. Letzteres entpuppt sich als ein vergnügliches Loblied auf den ersten Milchzahn namens Alexander. Derlei Vergnüglichkeiten, mitunter von aphoristischer Prägnanz, lockern das Orgelkonzert in der Klein-Glienicker Kapelle mit Werken alter Meister aus der Orgelliga der Bachzeit reizvoll auf. Vorgetragen werden die literarischen Preziosen von Klaus Büstrin, der sie in seinem schier unerschöpflichen Bücherschrank aufbewahrt. Zu der sehr freundlich vorgetragenen und genüsslich ausgekosteten Seelenlyrik gehört der „Choral. Täglich zu singen“ mit seiner stillen Bitte um Gesundheit, Schlaf und guten Mut. Gar köstlich hört sich die „Serenata. Im Walde zu singen“ an, die mit vorzutragenden Angaben zu Musikformen wie Solo, Rezitativo, Fuga und Choral nicht spart. In diesem klug konzipierten Programm gehen Texte und Musik eine gute, weil ideelich überzeugende Verbindung ein. So repliziert beispielsweise Johann Pachelbels pastoral getönte Fantasia g-Moll die nicht minder besinnliche Stimmung des Claudius''schen „Ein Wiegenlied. Bei Mondschein zu singen“. Es muss nicht immer Bach sein, mag sich Organist Matthias Trommer gesagt haben als er die Zusammenstellung ersann. In ihr überwiegen heitere bis belanglose Stücke jener Liga-Meister, die zwar erfreuen, aber auch keinen wesentlichen Speicherplatz auf der Festplatte (des Gehirns) beanspruchen. Verspielt und sinnenfroh zeigt sich das Präludium e-Moll von Nikolaus Bruhns (1665-1697), das seinem Namen alle Ehre macht: suchend, präambulierend, frei fantasierend. Wachen Sinns und geradezu analytischen Geistes wird es – wie die anderen Piecen – von Matthias Trommer gespielt: hell und scharf getönt. Im weichgetönten und zartgliedrigen Kontrast dazu stehen liedhafte „Drei Schlag-Arien“ von Valentin Rathgeber (1682-1750), die schlicht und feinsinnig registriert werden. Letztere spult sich wie eine Spieluhr ab. Zimbelstern-Geklingel läutet die Toccata F-Dur von Franz Xaver Murschhauser (1663-1738) ein, ehe sie per organo pleno jene Gewichtigkeit erreicht, wie man sich''s von dieser Form erwartet. Wie eine heiter gestimmte Novelle hört sich die Pastorale von Domenico Zipoli (1675-1726) an, die sich tänzerisch beschwingt von der Empore herab in den Kapellenraum ergießt. Wie fantasiebegabt und empfindungsadäquat Matthias Trommer registriert, beweist er in der Canzona in g von Johann Caspar Kerll (1627-1693). Er zieht originelle Register wie Vox humana und Trompeten, kombiniert sie auf unübliche Weise mit anderen. So klingt schnarrend und näselnd, was menschlicher Stimme entsprechen soll. Dann wieder tönt es filigran und cembalonah. Nicht weniger ideenreich nimmt er sich der Sonatina von Christian Ritter (1650-1725) an, deren „tröpfelnder“ Teil sich vom signalartigen Trompetengeschmetter abhebt, ehe Vogelrufimitationen (per Flöteregister) die Fantasie anregt. Von gewichtigerem Kaliber erweisen sich schließlich Johann Pachelbel (1653-1706), von dem noch Präludium und Fuge d-Moll in geradezu modern wirkenden Klangmischungen erklingt, und Dietrich Buxtehude (1637-1707) mit seiner Passacaglia d-Moll. Es wird ohrenfällig: beide Komponisten spielen in der Champions League der vorbachischen Ära auf vorderen Rängen mit. Wieder einmal hat sich erwiesen, dass aus der Verbindung von Lesung und Notenklang die herrlichsten „Gewächse“ entstehen können, wenn sie fürsorglich gepflegt werden. Und so haben sich die Konzerte in der Klein-Glienicker Kapelle längst zum Geheimtipp von Kennern und Liebhabern entwickelt. Peter Buske

Peter Buske

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