Kultur: Versunken in Flammen
Tschechisches Puppentheater bei Unidram
Stand:
Tschechisches Puppentheater bei Unidram Hoch oben erscheint der Engel, hell, ein strahlendes Lächeln. Plötzlich schlagen Topfdeckel gegen das dreistöckige kastenförmige Metallhaus, über dem er schwebt. Der Lärm schüttelt den Engel und kurz darauf muss er sich zur Spieluhrmelodie drehen. Ein Pfiff, nächste Szene: ein Ehepaar schleppt unter dem Gekeife der Frau ein schweres Paket heran. Dann krachen beide samt Paket durch die Schwingtür und sind verschwunden. Tschechisches Handpuppentheater bei Unidram. Die deutsche Erstaufführung des „Requiems für ein Haus“ der unabhängigen Theatergruppe „Divadlo Lien“ aus Brünn. Auch im vergangenen Jahr packten und amüsierten tschechische Puppenspieler den ausverkauften Saal von der ersten bis zur letzten Minute, dieses Jahr wieder. Es ist eine Frechheit und Brutalität, die ihren Charme durch Humor, unglaubliche Phantasie in der Umsetzung und durch künstlerische Leichtigkeit erhalten. Tempo, comicartige Geräusche, eine Bühne voll mechanischer und akustischer Witze. Sozialkritik ohne anstrengendem Nachdruck, ohne Kommentar. Eine Kunst, die frei ist und losstürmt. Mit der Ansprache eines schillernden Wissenschaftlers aus der Welt unterhalb des Hauses und dem Synchrontanz seiner dressierten Ratten, wird das Publikum begrüßt. Dann zur Kasse gebeten. An einem nicht enden wollenden Stiel schiebt sich die Blechdose zwischen die Zuschauer. Aus der Förderung der „internationalen Kanalforschung“ wird dann doch nichts, denn ein Auto kommt unter Getöse und chaotisch schlingernden Kurven angerast. Der Vermummte schnappt die Blechdose und donnert davon. Wo wird das Geld stattdessen investiert? Wer ist der Vermummte? Doch zunächst enträtselt sich der Inhalt jenes schweren Paketes: entzückt sitzt das Ehepaar vor dem neuen Fernseher. Ergeben lässt es sich von dem Mann aus dem TV lenken: „Ich werde euch nicht mehr verlassen, ich werde mit euch leben!“ Und schon sprüht er dem Ehepaar den Schaum aufs Gesicht, der die Gedanken verbirgt, einzige Nebenwirkung: man sieht nichts mehr. Tolles Produkt. Währenddessen ist der Offizier sein geraubtes Geld und einen weißen Sprühregen bei der Prostituierten mit den aufblasbaren Brüsten losgeworden. Leider reichte das Geld nur für fünf Minuten, der Luftballonpenis schrumpfte zunächst in sich zusammen, als er das hörte. Die Brüste der Prostituierten waren schon längst wieder luftentleert. Nach vollzogenem Akt brechen die zwei Puppen durch Hinterwand des Zimmers, wodurch die Klappen zufallen, die es verschließen. Pfiff, nächste Szene an anderem Ort. Die Prostituierte besteht nur noch in Teilen, als der Offizier sie erneut aufsucht. „Willkommen in unserem erotischen Paradies!“ sagt der Telefonhörer des Sextelefons, der sich zu einer Vagina aufgeklappt und die Prostituierte gefressen hatte. Der Engel wollte immer wieder Gerechtigkeit schaffen, Menschen retten, Tiere. Aber stets übermannte ihn sein undefinierbarer Krampf. Da springen Flammen im Haus empor, immer höher. Und über allem schwebt der lächelnde Engel. Und lächelnd versinkt er in den Flammen.Dagmar Schnürer
Dagmar Schnürer
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