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Kultur: „Versunkene Geschichten“

Wilfried Mattukats Collage von der Stadtspieltruppe aufgeführt / Gastspielreise nach Posen

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Der Mensch hat viel zu verlieren, wenn er sein Maß nicht hält, Leben, Sicherheit, vielleicht auch „die Welt“. So hörte man bei der spätabendlichen Vorpremiere „Versunkene Geschichten“ (die Premiere findet in Posen statt) auch „die Weltseele“ im weißen Tänzerinnenkleid klagen, alles Leben sei seit Jahrhunderten erloschen, „nur Kälte, Leere, Angst“. Das war „Gott“ in seinen goldenen Stiefeln und Goldhut nun gar nicht egal. Im Reigen der Seinen buk er sich auf dem Deck vom Theaterschiff einen neuen Menschen.

Der Knollenbenaste – Clown und Adam zugleich – hielt es offenbar mit Darwin. Wie ein Schimpanse hüpfte und grummelte er über das Tapet, um sich dann „gesetzmäßig“ aufzurichten. Ein neuer Weltzyklus hatte begonnen. Wie sehr derselbe mit der Chronik der Stadtspieltruppe zusammenhing, beschrieb Wilfried Mattukat vor großer Zuschauerkulisse in zehn Bildern, mit Auszügen aus Borcherts „Draußen vor der Tür“ und Brechts „Mahagonny“, teils in einer sich Straßentheatermittel bedienenden Form mit Stabpuppen, Masken und viel Tuch.

Über die Präzision der Szenenfolge kann man bei jenem zweiten Durchlauf nicht viel sagen, über die Inhalte schon, zumal die Truppe mit dem Projekt demnächst nach Posen schippert, um am dortigen „Malta-Festival“ (gemeint ist ein See bei der Stadt) teilzunehmen. Das Thema „Wasser“ fährt im Sinne von „Kulturland Brandenburg“ als stiller Diplomat mit. Es spielte in der ersten, recht schematischen Szene um Heinrich von Kleist kaum eine Rolle: guter Dichter mit Tendenz zum Antimilitarismus – knallharter Preußenstaat.

Die zweite aber war, im Sinne der Weltseele, vielleicht schon der Anfang vom Ende. Mit Ironie und Lakonismus wurde das „Märchen vom Fischer und seiner Frau" erzählt, jene weibliche Hybris, die ganze Weltreiche zusammenstürzen lässt, auch Paläste und „Misthütten“. Solange die Rotnase mit Kleist „unter Hitler“ den Stechschritt übte, ein Landser unter Friedrich II. die (tödliche) Potsdamer Stadt-Mauer überwinden wollte und dabei ersoff, war Mattukats Bildwelt noch relativ homogen, aus Fahnen und Riesenvögeln die Theaterkulisse, dazu schöne Musik aus dem Off.

Brennende Symbole nebst Feuerschlucker, dann ein Flüchtlingszug – wieder nahe am Schema – sollten im deutsch-polnischen Gemeinschaftsspiel das Elend des Dritten Reiches symbolisieren. Eine Rock“n“Roll-Szene zeigte die Härten der fünfziger Jahre, wobei hier sehr schön mit anonymen Zeitungslesern großer Formate gearbeitet wurde. Noch „klemmte die Tür“ auf gleicher ästhetischer Ebene, aber man hatte bei aller Spielfreude wohl nicht bedacht, dass die dramaturgische Rahmung den Adam besser außen vor lassen sollte.

Die subtile „Elbe“-Szene von Borchert passte dann gar nicht in den Stil der einstündigen Openair-Aufführung, der Mahagonny-Part gerade noch. Zuletzt eine Gruppenaktion mit aufblasbaren Erdbällen, dann begrub das blaue Segel die Szenerie recht effektvoll unter sich. Gerold Paul

Gerold Paul

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