Kultur: Verweigerung
Theater in der Bar: Premiere der szenischen Collage „Missratene Töchter“ auf dem Theaterschiff
Stand:
„Missratene Töchter“? Was soll das denn sein im Zeitalter der gleichgestellten Feministen und Feministinnen? Heute haben Frauen stark zu sein, unabhängig, erkennbar emanzipiert und wenigstens ein bisschen männerfeindlich, sonst läuft da gar nichts den Mainstream hinab. So gesehen ist Katja Willebrands gleichnamige Inszenierung auf dem Theaterschiff bereits jetzt hoffnungslos veraltet, führt sie doch literarische Figuren wie Anne (nach Martin Crimp) oder Therese Walsers Meggie als „King Kong-Tochter“ tatsächlich noch als missratene Sprosse vor, nicht als Emanzen. Und das in der verstaubten Konfektion der fünfziger und sechziger Jahre!
Zehn Szenen von Christine Brückner bis Sarah Kane nonstop in gut sechzig Minuten, nur lose zusammengehalten von einem Tisch, welchen das fünfköpfige Ensemble anfangs deckt. Brot wird verteilt, gebetet, eine der Pastorentöchter will sich vom Pastorenvater nicht länger den Mund verbieten lassen – Gudrun Ensslin beschließt in einem langen Monolog, von der Elternliebe bis zum Essen gleich mal alles zu verweigern. Sie will einfach nur noch „betautes Gras“ unter ihren Füßen haben. Aber das war ja, wie man weiß, nicht ihre ganze Geschichte.
Mit herrlicher Lakonik folgt ein Dialog zwischen König Kreon und Tochter Antigone aus Jean Anouilhs gleichnamigen Stück von 1944. Sie möchte den Bruder Polyneikes beerdigen, doch ihr abgeklärter Papa nennt ihn nur Taugenichts und schickt das Mädel ins Bett. Auch hier ein Aufbegehren mit tödlichem Ende, obwohl die Regie das nicht mehr erzählt. So findet man inmitten der missratenen Sprossinnen auch missratene Szenen, etwa im völlig voraussetzungslosen Spiel zwischen Martha und Maria in Albert Camus „Missverständnis“ oder Franz Xaver Kroetzens „Maria Magdalena“.
Andere brillieren durch darstellerische Kraft und spielerischem Ausdruck. Wenn sich beispielsweise das „Gewaltmonopol“ in der Familie derart verkehrt, dass die Mutter in Claire Castillons „Giftspritzen“ von der Tochter Dresche bezieht und mit zwei gegipsten Armen wieder alles entschuldigt, so hatte das dieselbe Qualität wie Sarah Kanes Simultanszene aus „Psychose“, in der zwei Krankenschwestern über eine irre gewordene Reiseleiterin palavern. Überall in der Welt ließ sie sich mit dem gleichen Lächeln ablichten, bevor sie sich in der „Geschlossenen“ das Leben nahm. Das ist die beste Szene überhaupt.
Ohne einzeln erwähnt zu werden, spielten Sonja Amina Chatterjee, Bärbel Aschenberg, Monique Scherke, Franziska Timm und Axel Körting ganz nach Laune und Vermögen in einer sehenswerten Ensembleleistung. Nach einer Serie publikumsfreundlicher Erfrischungsprogramme scheint man auf auf dem Havelkahn zu ernsthafter Theaterarbeit zurückzukehren. Man spürte bei der Premiere am Mittwoch, wie diese gar nicht so üblen Töchterlein (und „er“ natürlich!) etwas wollen, auch wenn es an vielen Stellen holpert. Der Inszenierung fehlten Zentrum und gedankliche Rahmung, man spielte mehr das So-Sein als ein Gewordensein, gab mehr Text als Untertext. In einer Zeit aber, in der alles umgewertet wird, die „Missratenen“ von damals die Normalos von heute sind, während alles Normale allmählich „missrät“, braucht man eine zweite Dimension.
Mehr Aggressivität oder mehr provokante Sanftheit auf ein inszeniertes Ziel hin, als es die Dauerschnulze „Qué, Será, Será“ aus Hitchcocks „Mann, der zu viel wusste“ von 1956 je hätte vermitteln können. Gerold Paul
Nächste Vorstellung am 23. März, 20 Uhr, im Theaterschiff, Alte Fahrt. Karten für fünf Euro unter Tel.: (0331) 97 23 02 oder www.theaterschiff-potsdam.de
Gerold Paul
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