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Kultur: Verwirrung auf allen Saiten

Uwe Kropinski und Michael Heupel beim Jazzfestival

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Uwe Kropinski und Michael Heupel beim Jazzfestival Nach anderthalb Stunden Kropinski und Heupel erst einmal tief Luft holen, draußen vor der Französischen Kirche, an diesem leicht kühlen Spätmontagabend. Der Kopf brummt und ein wenig ratlos geht der Blick in die kleine Runde der noch verbliebenen Gäste. Dieser musikalische Brocken muss langsam verdaut werden. „Sentimental Moods“ haben Uwe Kropinski und Michael Heupel ihr aktuelles Album genannt. Und mit „In a sentimental mood“ von Duke Ellington eröffnen die sie ihr Konzert in der gut besuchten Französischen Kirche. Doch ein Abend mit gelassenen Standardinterpretationen auf Gitarre und Flöte ist nicht zu erwarten. Ein paar bekannte Akkorde nur und schon verlieren sich Kropinski und Heupel in Improvisationen. Jazz trifft auf Weltmusik, der erste Gedanke. Ganz so einfach ist es nicht. Da ist auf der einen Seite Michael Heupel, der neben der Querflöte auch ein Ungetüm aus Rohren bearbeitet, das sich Subkontrabassflöte nennt. Entfernt erinnert es mit den tiefen, lang gezogenen Tönen an ein Didgeridoo. Dazwischen dann ein Schnaufen, Röcheln und Fauchen wie aus der Unterwelt. Auf der anderen Seite Uwe Kropinski an der Gitarre, die ihm nicht einfach nur Saiteninstrument ist. Hat das Standardmodell der klassischen Gitarre 18 Bünde auf dem Griffbrett, protzt Kropinskis Sonderanfertigung mit 39. Das sieht gefährlich aus. Und Kropinski kann das Gerät auch noch bestens handhaben. Akrobatisch seine Fingerübungen auf dem Griffbrett, die jedem Physiotherapeuten Schweißperlen auf die Stirn treiben würden. Da Kropinski dieser erweiterte, flirrende Klangkosmos der gezupften sechs Saiten nicht ausreicht, muss das arme Gerät auch noch für seine wilden Percussionsattacken herhalten. Die wiederum treiben dem Liebhaber der holden Gitarrenbaukunst den Schweiß auf die Stirn. Kropinski scheren solche Gedanken nicht. Für ihn sind das nur Möglichkeiten, der Begrenztheit musikalischer Entfaltungen entgegenzutreten. Denn wenn er könnte, würde Kropinski die Töne und die Stile mischen, bis nur noch Tabula rasa bleibt. Soweit das mit zwei Händen, einer Gitarre und einem experimentierfreudigen Flötisten an seiner Seite möglich ist, gibt Kropinski sein Bestes. Oft beginnen die Stücke meditativ, lassen die Instrumente sich auf ein kurzes harmonisches Zwiegespräch ein. Dann hauen sie sich die Töne um die Ohren, reiben sich, stoßen einander. Dann röhrt und schluckt sich Heupel durch die Register seiner Flöten, sitzt Kropinski mit entrückter-ausgezehrter Miene über dem Instrument und rührt, greift, wirbelt die Saiten wie ein Besessener. Ihre Lieder sind gewollte Zumutungen, hochvirtuos, dann wieder reinstes Chaos. Dem Zuhörer bleibt manchmal nur der Rhythmus, den Kropinski mit dem Fuß gibt, an den er sich klammern kann. Zur Ruhe kommt hier niemand, bei dieser sich sperrig gebenden Musik. An diesem Klangerlebnis wird mancher noch lange kauen. Dirk Becker

Dirk Becker

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