Kultur: Very british and amusing
Start für die „Klassik am Sonntag“-Reihe mit den Brandenburger Symphonikern
Stand:
Was dem Österreicher der Strauß“sche „Radetzky-Marsch“ bedeutet, ist dem Engländer der „Pomp and Circumstance“-Marsch Nr. 1 von Sir Edward Elgar (1857-1934). Jenem Komponisten, der das viktorianische Zeitalter mit „ imperialen Klängen“ glorios zu feiern verstand. Beide Piecen gelten längst als inoffizielle Nationalhymnen. Im Mittelteil letzterer steht der von Streichern und Holzbläsern im opulenten Sound angestimmte Lobgesang „Land of Hope and Glory“. Bei der last night der legendären Proms in der Londoner Royal Albert Hall wird er vom Publikum inbrünstig angestimmt.
Von solchen Gefühlsausbrüchen waren die Zuhörer im Potsdamer Nikolaisaal allerdings meilenweit entfernt, die den zackig, direkt und schier atemlos musizierten Marsch eher mit leuchtenden Augen und gespitzten Ohren genossen. Dem very british konzipierten, von den Brandenburger Symphonikern unter Michael Helmrath lustvoll musizierten, von Clemens Goldberg sachkundig moderierten „Klassik am Sonntag“-Konzert setzte er das heftig umjubelte Finale. Dagegen hatte sich mit dem Marsch Nr. 4 die Bekanntschaft mit englischer (Klang-)Lebensart eröffnet. Sie war weitgehend in distinguierten Komponistenkreisen angesiedelt, huldigte vor allem Sir Edward.
Zwischen die rahmenden Schmachtfetzen, die einen Spaziergang mit erhobenem Haupt, stolz geschwellter, blechgepanzerter Brust beschworen, sorgte das e-Moll-Konzert für Violoncello und Orchester op. 85 für einen Ruhepunkt, für eine nachsinnende und nachdenkliche Lebensrückschau. Entsprechend rückwärtsgewandt schienen die Tonsatzmittel für das viersätzige, quasi vierstrophige Lebenslied ausgewählt. Es beginnt mit einem rezitativischen Monolog des Soloinstruments, dem der in Hongkong geborene Trey Lee mit großem Ton grüblerischen Ausdruck verlieh. Elegische Momente brachen auf, gewannen sich dramatische Züge. Dabei ließ es Trey Lee nicht an Intensität und Innigkeit mangeln, mied er jegliche Schwülstigkeit. Solche Spielweise raubte dem Werk jedoch auch viel von seiner Tiefgründigkeit. Dem brillanten Techniker, lebendig und klangapart assistiert vom Orchester, gelangen Arpeggien, rasche Läufe und schlank gezeichnete Legatolinien ohne Fehl. Leider stellte sich beim Hören des Adagio kaum innere Erschütterung ein, registrierten die Sinne eher nüchterne Begeisterung. Dem Lebensresümee mit seinen Fragen nach Daseinssinn und Bleibendem folgte man dagegen wesentlich interessierter, auch wenn die offenbarte Gefühlshingabe noch immer ziemlich kalkuliert erschien.
Was sich harmlos-freundlich als „English Folk Song“-Suite deklarierte, zeigte sich alsbald in einem militärmarschmusikalischen Gewand, das Ralph Vaughan Williams (1872-1958) auf höchst eingängige, vergnüglich anzuhörende Art zu schneidern verstand. Schmissig, witzig, ein wenig verspielt spielten die Brandenburger Symphoniker diesen Folkloremix, der sich in seinem Mittelteil ganz sentimental zeigte. Das Publikum zeigte sich very amused. Auch, als ihm mit Georg Friedrich Händel ein deutsches Kuckucksei ins englische Nest gelegt wurde. Sein Concerto grosso op. 6 Nr. 1 erklang in kammerorchestraler Streicherbesetzung, vibratoarm, gelöst und zügig, leicht im Ansatz, herrlich unakademisch: die reinste Klangwonne und pure Lebensfreude. Warum Benjamin Britten bei diesem Programm unter dem ins Altdeutsche übersetzten „Land der Hoffnung und des Ruhmes“ unberücksichtigt blieb, wissen wohl nur die angelsächsischen Götter.Peter Buske
Peter Buske
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