Kultur: Videospiele und andere Games
„Hau ab! Komm her!“ hatte Premiere in Reithalle A
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„Hau ab! Komm her!“ hatte Premiere in Reithalle A Die Betonmischmaschine rumpelt im Vordergrund der dunklen Bühne und macht dabei einen Höllenlärm. Dann wird es hell und eine Plattenbau ähnliche Häuserfront sichtbar, links hängt eine rosa Strumpfhose vor einem Fenster, rechts ein überdimensionierter BH. Im Zentrum der Bühne ein trapezförmiges Klettergerüst, mittig eine Treppe, als ginge es auf einen Zehn-Meter-Turm im Freibad, auf den beiden Seiten glatte, kalte Betonwand, gut geeignet zum Sichdranlehnen, Runterrutschen, Bespringen. Jede Menge Betreten-Verboten-Schilder blühen erwachsene Erziehungsmoral in das Kinderuniversum des Stücks „Hau ab! Komm her! von Börje Lindström. Das von Vinzenz Gertler entworfene Bühnenbild eröffnet eine modernistisch-kaltherzige Spielumgebung für die drei jungen Protagonisten, die sich kennen lernen, befreunden, befehden, miteinander Liebe und Hass erleben, wie sie es von ihren Eltern, nein, vom Fernsehen her kennen. Die Mattscheibe spielt eine große Rolle in den Reden der drei namenlosen Achtjährigen. Das Mädchen (Marie-Luise Lukas) stakste in Minirock und kindlichen Zöpfen zu Beginn noch etwas sehr betont linkisch-kindlich daher, doch erholte sie sich bald vom Premierenfieber und wurde in einigen Szenen ausfällig laut, stinkewütend, sauer. „Jetzt bin ich dran“, schreit sie, als ihr die Kabbelei der beiden Jungen, die sich hauptsächlich um ihre Gunst streiten, auf die Nerven geht. „Das hast du aus dem Fernsehen“ analysiert der Andere Junge (Markus Reymann) altklug. Auch „Video“, ein Spiel, das das Mädchen vorschlägt, ist der Flimmerkiste des elterlichen Wohnzimmers abgeschaut, wobei die beiden Jungs darunter Action, das Mädchen aber Porno verstehen. Verschämt stehen die beiden Jungs da und wollen gar nicht das angebotene „Ding“ sehen, das die Kleine unter ihrem Rock zeigt. Jeder der drei hat ein Problem, und das hat mit fehlender Elternliebe zu tun. Das Mädchen sucht seinen Vater, der Junge (Niels Heuser) wird von seiner Mutter nicht gemocht, und der Andere Junge hat einen Ersatzvater. Der aber hat ihm die Muschel geschenkt, in der Alles verborgen ist, das Meeresrauschen, die ganze Welt. Beeindruckt lauscht das Mädchen der Supermuschel, bis sich die Eifersucht des zweiten Jungen als kalte Wissenschaftserklärung Bahn bricht. Es sei das eigene Blutrauschen, was man höre, erklärt er selbstgefällig und zerstört damit die Innigkeit der beiden anderen nachhaltig, so dass das Spiel von vorne losgeht. Ein ständiges Auf und Ab im Gefühlsleben der drei, die sich mal als „beste Freunde“ sehen, mal als Feinde in unterschiedlichen Konstellationen bitter gegeneinander kämpfen, bestimmt die Dramaturgie des Stücks (Regie: Carlos Manuel). Der Autor hat sich gut eingefühlt in die abrupten Stimmungswechsel, der nicht nur junge Menschen zwischen Zuneigung und Ablehnung oszillieren lassen, ließ sich aber ein wenig zu sehr von theoretischer Erwachsenenperspektive leiten und überfrachtete das weitgehend handlungsarme Stück mit den großen Themen Liebe, Tod, Glaube und Kommerz. Einzig bei „komm, wir spielen Penny“ vertraut der Regisseur dem Theater-Spiel, plötzlich brauchen die Kinder nicht mehr alles zu erklären und zu verstehen, sie spielen einkaufen, das Mädchen sitzt an der imaginierten Kasse und lässt die Waren durchrattern, der Junge kauft nach Lust und Laune, aber der Andere Junge, der hat nichts begriffen und will die tote Katze verkaufen. Alles andere wird über altklug daherkommende Dialoge und Statements „Glaubst du, es ist so lustig, ich zu sein?“ transportiert und riecht trotz des angestrengt verjüngten Spiels der drei Akteure doch nach didaktisch aufbereitetem Schnelldurchlauf philosophischer Abhandlung. Die anwesenden Schüler dankten mit freundlichem Applaus und manche fanden das Stück erst draußen, ohne Lehreraufsicht, „ganz schön langweilig“. Lore Bardens
Lore Bardens
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