Kultur: Viel brauchte es nicht
Ein Theatererlebnis: Peter Brooks Beckett-Inszenierung in der Waschhaus-Arena
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Zuerst einmal Simon Stephens zu Wort kommen lassen? Den 37-jährigen Autor, der mit Stücken wie „Am Strand der weiten Welt“, „Christmas“ und dem beim jüngsten Berliner Theatertreffen zu sehenden „Pornography“ zu den wichtigsten englischen Gegenwartsdramatikern zählt? In einem Interview zu Samuel Beckett gefragt, sagte Stephens, dass dieser zu den Unerreichbaren gehört. „Liest man seine Stücke, möchte man aufgeben“, so Stephens.
Kommt das Gespräch auf Beckett, Autor von „Warten auf Godot“, „Endspiel“ und „Glückliche Tage“, ist schnell von Heiligsprechung die Rede, ist das ehrfurchtsvolle Zittern vor diesem Giganten förmlich in jedem gesagten Wort zu spüren. Dann auf die Bühne gebracht, scheint die Aura dieses Theaterheiligen ins Unermessliche zu wachsen, bekommt jedes Staubkorn, jeder Husten im Publikum eine tiefere Bedeutung. Und dann darf man die Inszenierungen von Peter Brook erleben. Mittlerweile 83 Jahre alt und selbst schon eine Legende.
Brook hat lange gewartet, bis er sich Beckett zuwandte. Natürlich aus Respekt vor diesem Meister des Minimalismus. Aber auch aus Unbehagen gegenüber dem Pessimismus-Etikett, das man Beckett angeheftet hatte. Natürlich schaut Beckett in den menschlichen Abgrund mit all seinen Widersprüchen, doch das mit einem schwarzen Humor, den Brook wie wohl kein anderer herauszufiltern weiß. Seine Inszenierung von fünf Fragmenten Becketts in der Waschhaus-Arena zu erleben, zeigte, wie schlicht und gleichzeitig so intensiv, wie einfach und verwirrend und gleichzeitig fordernd Beckett-Theater sein kann. Keine Spur von Heiligsprechung oder überhöhter Ehrfurcht. Brook hat Beckett durchdrungen und mit dem Bodenständigen seiner Regiearbeit machte er fast jede Szene während der 60-minütigen Inszenierung „Fragments“ zu einem Theatererlebnis.
Drei Schauspieler, mehr brauchte es nicht. Und wie stark Brook als Regisseur wirken kann, zeigte sich an Hayley Carmichael. Bei den letzten Proben war die britische Schauspielerin gestürzt und hatte sich so stark am rechten Fuß verletzt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden musste. Doch das hielt sie nicht ab, auf die Bühne zu kommen, getragen von ihren Kollegen Marcello Magni und Khalifa Natour. Und ihr Monolog in „Rockaby“ wurde zu einem der eindringlichsten Momente an diesem Abend. Eine Frau, personifizierte Einsamkeit, auf der aussichtslosen Suche nach einem seelenverwandten Menschen. Hayley Carmichael saß fast regungslos auf einem Stuhl, mitten auf der Bühne und sprach einfach nur den beklemmenden Text von „Rockaby“. Wobei in diesem einfach nur und der ständigen Wiederholung mit leichten Abweichungen die größte Wirkung lag. Klaustrophobisch, dieses sich im Kreis drehen und einfach nicht von der Stelle kommen, um sich dann doch dem Schicksal zu ergeben.
In „Akt ohne Worte II“ mussten dann Marcello Magni und Kahlifa Natour auf die verletzte Schauspielerin verzichten. Doch wie schon in „Bruchstücke I“, wo sie als Einbeiniger und Blinder erst die Nähe zueinander suchen, um dann aufeinander loszugehen, waren sie in „Akt ohne Worte II“ in ihrer Gegensätzlichkeit, einer, der an seiner Existenz verzweifeln will, während der andere sein Glück darüber kaum fassen kann, einfach unschlagbar.
Mit „Kommen und Gehen“ ein so einfacher und gleichzeitig so vielschichtiger Abschluss. Drei alte Damen, in Freundschaft verbunden, gemeinsam auf einer Bank. Bleiben zwei für einen Moment allein, wird über die fehlende Dritte im Flüsterton hergezogen und im Moment der höchsten Erregung über das Gehörte Gott angerufen. Das Misstrauen der drei Damen untereinander ist in jeder Geste, jedem Wort spürbar, da hilft auch kein gemeinsames Beschwören der Kindertage. Beckett hat hier die Verlogenheit und menschliche Falschheit, die nur notdürftig durch den Deckmantel nach außen hin praktizierter, untereinander aber nicht gelebter Religiosität mit wenigen skizzenhaften Strichen so entlarvend auf den Punkt gebracht. Peter Brook hat das Humorvolle hervorgeholt, so dass die drei alten Damen so lächerlich und gleichzeitig so erbarmungswürdig erscheinen.
Man sitzt, schaut und staunt, wie wenig und gleichzeitig doch so viel auf der Bühne passiert. Und man ist dankbar dafür, diesen Theaterabend mit Peter Brook erleben zu dürfen.
Dirk Becker
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