Kultur: Viel Gefühl
Der Chor „Credo“ aus Kiew in der Friedenskirche
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Konzert oder Liturgie – Beifall oder Andacht? Das war bei der jüngsten Sommermusik in der Friedenskirche Sanssouci wieder einmal die Frage. Am Sonnabend gastierte der Kiewer Kammerchor Credo mit einem geistlichen Konzert des hierzulande selten zu hörenden Komponisten Alexander Gretschaninow, danach Zugaben, viel Applaus.
Matthias Jacob begrüßte die zahlreich erschienenen Gäste, stellte auch den sehr fleißigen, aber auch ziemlich vergessenen Komponisten vor. Zahlreiche Orchesterwerke, Kammerkonzerte, Vokal- und Schauspielmusik, Opern und etliche Sachen für Kinder stehen in Gretschaninows Werkregister, Weltliches und Geistliches. 1864 geboren, studierte er zuerst am Moskauer, dann am St. Petersburger Konservatorium, ein Schüler von Rimski-Korsakow.
Für sein 1917 entstandenes Werk „Johannes Chrysostomos“ Nr. 3, auch „Liturgia Domestica“ genannt, erhielt er von Zar Nikolaus II. eine lebenslange Pension. Doch wie gewonnen, so zerronnen, die Sowjetmacht, mit welcher Gretschaninow in den USA auch nach seinem Exil 1939 verbunden blieb, schaffte dieses Privileg gleich wieder ab.
Unter der Leitung von Bogdan Plish war am Sonnabend die Fassung für Chor und Orgel zu hören, eine zweite besetzt dieses Opus 79 zusätzlich mit Streichorchester, Harfe und wahlweise Sopran oder Tenor. Der Kammerchor, Studenten und Absolventen der ukrainischen Musikakademie „P. I. Tschaikowski“, ist auch sehr fleißig, mehr als sechzig Einstudierungen in den letzten fünf Jahren! Seine „besondere Aufgabe“ sieht er in der Darstellung geistlicher Werke.
In der Friedenskirche trat „Credo“ mit einer gemischten Besetzung für 30 Stimmen auf, um diese Liturgie vorzutragen. Sie steht inhaltlich und auch musikalisch ganz in der Tradition der Ostkirche, Johannes Chrysostomos („Goldmund“) gilt als Heiliger und Kirchenvater, und insofern wäre ein kleiner Informationszettel über den Inhalt dieser Messe sehr hilfreich gewesen.
Blieb dem Publikum die Musik: Gretschaninow zählt zu den traditionsbewussten Komponisten, sein Klangstil ist „nationalrussisch“ geprägt, sein Ausdruck schwankt zwischen lyrisch und sentimental. Bei der Orgelbegleitung, die Klaus Heller aus Zehlendorf übernahm, hörte man jedoch den Stil des 20. Jahrhunderts heraus. Die Vokalparts hingegen, unisono, mehrchörig, mit einem Vorsänger in Tenor-, dann Basslage, mehrstimmig als piano oder in höchst voluminösem Tutti, waren durchweg im traditionellen Stil der Ostkirche komponiert. Ein „russischer Tonfall“ war immer dabei.
Der Chor meisterte seine Aufgabe gut, wenn es auch gelegentlich Verständigungsprobleme mit der Orgelempore gab oder ein paar Einsätze wegrutschten. Allerdings lässt diese Liturgie dramatische Elemente nicht zu: Ein Großes Fürbittengebet zu Beginn, Segen und Lob des Herrn, Nach der Lesung der Epistel, Cherubin-Hymnus, Huld des Friedens, Vater unser, zuletzt „Ende der Liturgie“ sind einige Stationen, die zwar in Klangfarbe, Tempi und Chorführung ganz unterschiedlich gearbeitet sind, doch ohne Kontrast.
Viel Opulenz, viel Gefühl über fast 60 Minuten, eine fremde Sprache, dafür viel Herzlichkeit beim Dank der Friedensgemeinde, dem Veranstalter dieser Sommermusik. Ach ja, Matthias Jacob hatte vorab die Streichung der Nummer Neun angesagt, und so sang „Credo“ die Liturgie ohne das Credo, also doch eher konzertant.
Gerold Paul
Gerold Paul
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