Kultur: Viel Herzschmerz
„Tim Bendzko & Band“ schickten ihr Publikum im Lindenpark durch emotionale Höhen und Tiefen
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Stillstand. Mädchenherzen schlagen laut. Die Musiker, die eben noch vorgaben, „nur noch kurz die Welt retten“ zu müssen, stehen nun wie eingefroren auf der Bühne. Verwirrte Gesichter. Einen Superhelden mit übermenschlichen Fähigkeiten und High-Tech-Waffen, der die Menschheit beschützt und Böses bekämpft, haben wir uns aber anders vorgestellt. Statt Spiderman ließ am Samstagabend Tim Bendzko mit seiner Band sein Publikum im Potsdamer Lindenpark dahinschmachten.
Nach und nach tauen alle Bandmitglieder auf. Cello und Keyboard scheinen miteinander zu kommunizieren, wechseln sich rhythmisch ab und geben dem Lied einen jazzigen Geschmack. Dann erklingt wieder die soulige Stimme des 26-jährigen Lockenkopfes. „Muss nur noch kurz die Welt retten, danach flieg ich zu dir.“ Dabei spricht er über die Ausrede, etwas ganz Wichtiges zu tun zu haben, wodurch man sich zwangsläufig den schönen Dingen im Leben entzieht. Also liebe Männer, die an diesem Abend erschienen sind: Hut ab! Denn deutsche romantische Lieder über Liebe und zwischenmenschliche Beziehungen sind wahrscheinlich nicht jedermanns Sache.
Eines der vielen Pärchen im Publikum tanzt den ganzen Abend engumschlungen. Rasseln rauschen durch ihr Trommelfell. Der muskulöse Mann legt seinen Kopf in den Nacken und brummt die Lieder textsicher mit. Immer wieder motiviert Tim Bendzko die männlichen Fans. „Wie im Fußballstadium, Jungs!“ Bei dem Song „Ich kann alles sehen“ wird es dann wirklich sportlich, denn Freund und Fitnesstrainer der Band Philipp führt Übungen vor, die dann bereitwillig nachgemacht wurden. Arme ragen in die Höhe und tanzen schwungvoll im Takt. Das melancholische Lied „Ich laufe“ erzählt vom Verdrängen von Problemen und erzeugt eine Weltuntergangsstimmung mit sehr viel Herzschmerz. Füße ziehen schnellen Schrittes auf vielen, kleinen Bildschirmen im Hintergrund der Bühne vorbei. Nach und nach bekommt jeder Musiker die volle Aufmerksamkeit bei einem kurzen Solo. Bandmitglied des Tages wird dann der Keyboarder Fabian, der übrigens gerade frisch verheiratet ist. „Wir in der Band sind ja auch alle pro Hochzeit“, plaudert Tim Bendzko heraus, der den ganzen Abend locker, charmant und selbstbewusst mit dem Publikum spielt. Das darauffolgende Lied „Sag einfach ja“ erzählt dann von der Trauung. Damit macht der ehemalige Theologiestudent seinem Image natürlich alle Ehre.
Trotz seines Sieges beim Bundesvision Song Contest 2011 und obwohl er als Newcomer national gefeiert wird, ist der Berliner Singer-Songwriter Tim Bendzko auf dem Boden geblieben. Und die Welt zu retten, überlässt er lieber den richtigen Superhelden. Friederike Haiser
Friederike Haiser
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