Kultur: Viel Müh um „Julio“
Susanne Martin in der fabrik
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„Das ist unser bunter Abend“, führte Susanne Martin zu Beginn in ihre Tanzperformance „Julio“ ein, und diese Bezeichnung enthielt viel Wahrheit. Schon im Café der fabrik konnte man einen Teil des aus Fotos, Vortrag, Tanz, Gesang und Film bestehenden Gesamtkunstwerks betrachten, und so unspektakulär wie die Aufnahmen des „Hotel Ibiza“ von AnnA Stein scrollte oft der Abend dahin, von einigen Glanzlichtern durchbrochen, die zeigten, es hätte bei Konzentration auf den Tanz unterhaltsamer und poetischer zugehen können.
Eine wirkliche Überraschung bot Susanne Martin, als sie die Maske des Herrn K. Müh überstülpte und sich im schwarzen Anzug mit der pinkfarben gemusterten Krawatte anschickte, in aller gebotenen Ernsthaftigkeit tanzen zu lernen. Streng waren die Haare nach hinten gegelt, die Bewegungen steif, die Hand zu Anfang in der Hosentasche, und als „Julio“ vom Band zu singen begann: „Ich kenn die Welt von zwei Seiten“, gelang dem Mann, der eigentlich eine Frau war, ein besonderer Hüftschwung. „Doch was ich will, ist mir erst klar, seit ich dich kenn“, jubelte Julio aus dem Off, und K.Müh forderte Frauen in der ersten Reihe auf, mit ihm zu tanzen, aber die blieben einfach sitzen.
Auf Zetteln, die K. Müh in die Höhe hielt, hatte „er“ beschrieben, wonach er sich sehnte: „I have to express myself“ oder „I am full of dreams“ wirkten gar komisch zu den linkischen Körperaktionen. Das war oft witzig, und am Ende holte dieser an einen steifen Beamten erinnernde Typ doch tatsächlich zwölf Frauen aus dem Publikum auf die Bühne, um sie locker im Schwung einmal um sich selbst zu drehen.
Der zweite Teil änderte vollkommen die Atmosphäre - ein Pult und ein verwuschelter Hocker wurden aufgetragen, an dem Pult dozierte Diplomsoziologe Olaf Stuve über die „Gender- und Rassifizierungsproblematik“. Unterbrochen wurde er von Elinae Hutmachers Live-Interpretion dreier Julio-Iglesias-Hits. Nicht immer war die Stimme fest, und brüchig wurden die Höhen. Olaf Stuve klärte darüber auf, dass es weder ganz sicher sei, was weiblich oder männlich, noch, was weiß oder schwarz sei. Die Möglichkeit des Spiels mit den Geschlechtern hatte aber zuvor schon Herr K.Müh alias Susanne Martin unterhaltsamer zur Schau gestellt. Man fragte vergeblich nach dem Sinn der vermeintlichen Ironisierung der Sehnsuchtsmelodien ganzer Generationen und auch nach dem des Dokumentarfilms, der dem „Bunten Abend“ am Ende übergestülpt wurde. Weder die Fragen noch die Antworten der Mallorca-Urlauber waren originell. Susanne Martin allein konnte dann mit „Claudia“ überzeugen. Die ältere Frau im blauen Hausanzug führte einen poetischen Fingertanz auf, der in einer Traumsequenz endete, in der sie mit Glitterperücke und Leibchen ihren erotischen Gefühlen Ausdruck verlieh.
Das Crossover von Vortrag, Dokumentarfilm und schlechtem Gesang vermochten dennoch, bescheidene Begeisterung auszulösen. Versöhnt wurde das Publikum durch eine Zugabe von Herrn K.Müh, der einen Partner mitgebracht hatte, ebenfalls eine Frau in Männermaske (Eliane Hutmacher), und da war ein gewisser Zauber wieder da.
Lore Bardens
Lore Bardens
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