Kultur: Viel Small Talk und viel Korrektheit Der „Literarische Salon“ nach der Buchmesse
Von einem „Salon“ zu sprechen war am Sonntagabend vielleicht genauso verfehlt wie die literarische Leipziger Nachmesse-Lese zum frühen Abend voller Kühnheit „nachtboulevard“ in der Reithalle in der Schiffbauergasse zu nennen. Drei rote Sessel sowie drei eckige Tischchen, drei Mikros und drei Flaschen Mineralwasser für Gastgeber Oliver Geldener vom Potsdam-Fernsehen und Buchhändler Carsten Wist, stadtbekannt.
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Von einem „Salon“ zu sprechen war am Sonntagabend vielleicht genauso verfehlt wie die literarische Leipziger Nachmesse-Lese zum frühen Abend voller Kühnheit „nachtboulevard“ in der Reithalle in der Schiffbauergasse zu nennen. Drei rote Sessel sowie drei eckige Tischchen, drei Mikros und drei Flaschen Mineralwasser für Gastgeber Oliver Geldener vom Potsdam-Fernsehen und Buchhändler Carsten Wist, stadtbekannt. Ein runder Lesetisch mit Stuhl und Mikro war dem HOT-Schauspieler und Vorleser Jan Dose zugedacht. Von den literaturbeflissenen Gästen war nur die Kabarettistin Gretel Schulze erschienen. Peter-Michael Diestel, dem aus gewissen Gründen die aktualisierte Autobiografie von Gustav-Adolf Schur zugeteilt wurde, ließ sich entschuldigen. Doch keine Panik, die drei konnten auch ohne ihn über das bekennende DDR-Urgestein urteilen. „Mitleid“ war zu bekunden, weil der achtzigjährige Täve noch immer nicht von seiner DDR-Gesinnung lassen mag, was man „naiv“ oder „gutgläubig“ fand. Gretel Schulze, längst im Westen angekommen, wählte die Formulierung „partiell merkwürdig“, Carsten Wist schien dieser Täve „ein bisschen aus der Zeit gefallen“, denn „ihm reichten die einfachen Wahrheiten“. Klar, der alte Radler mit seiner primitiven Aufrichtigkeit war ja noch nie etwas für Intellektuelle.
Ähnlich zappelte das Trio der literarisch Initiierten, als es um den exzessiven Kokser-Roman „Lisa“ des Österreichers Thomas Glavinic ging. Hier wird eine Endlosgeschichte um einen Angsthasen erzählt, welcher sich seine Sorgen ob der allesmordenden Lisa per Internet-Radio von der Seele quasselt und dabei auch vor Tabus nicht anhält, welche deutsche „Correctness“ wie Weihwasser scheuten. Gretel Schulze jedenfalls fand, es gehöre sich nicht, Kriminalität und Ausländer so einfach in einen Topf zu werfen, Rumänen, Sizilianer. Der Autor habe da wohl „ein Problem mit dem südlichen Menschen“ meinte sie realpolitisch exakt. Die Polizei wird ihr da sicherlich recht geben, eigene Kabarett-Auftritte auch. Carsten Wist wählte moderatere Töne.
Ohne die anderen Neuerscheinungen, Uwe Timms Novelle „Freitisch“ und Arno Geigers autobiografischen Bericht „Der alte König in seinem Exil“ über seinen an Alzheimer erkrankten Vater unerwähnt zu lassen, gehören hier ein paar Worte über die Wirkkraft solcher „Salons“ dazu. Natürlich imitieren ihre Betreiber gewisse Vorbilder, natürlich wollen sie auch Maßstäbe setzen, natürlich sondern sie aus. Bei dieser gutbesuchten Veranstaltung hatte man allerdings ab und zu den Eindruck, als ob da Gefälligkeiten und Selbstbestätigungen des Bildungsbürgertums Vorrang hätten. Was nicht so gefällig ist, gefällt eben nicht, wird als „problematisch, umstritten“ markiert und im Konsens zur Seite gelegt. Zu viel Small Talk, zu wenig Konfliktbewusstsein. Wie beim Fernsehen ließ man mal wieder den Zeitgeist (und die Verlage) gewinnen, was doch partiell merkwürdig ist. Das zahlreiche Publikum hörte stumm zu. Warum in einem solchen „Salon“ nicht Bücher vorstellen, die bei den Großen nicht nur aus Profitgründen unbeachtet bleiben?
„Salon“ Nr. 3 stellte also die Frage, was Literatur denn heute sei: Irgendetwas Nettes, Unterhaltsames, nicht zu gutgläubig, nicht allzu weit ab vom Wege, am besten mit viel Mensch und viel Herz. Dann ist der Salon zufrieden, ist literarische Seligkeit da. Gerold Paul
Gerold Paul
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