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Kultur: Vier Pianistinnen für Beethoven

Ud Joffe über den „Klaviergipfel“, Musikerwettbewerbe und seine Begeisterung für die Castingshow „The Voice“

Stand:

Herr Joffe, warum lassen Sie vier Pianistinnen mit Konzerten von Beethoven zu einem Klaviergipfel im Nikolaisaal antreten?

Die Idee hatte ich schon vor drei Jahren. Und natürlich war da zuerst der Gedanke, alle fünf Klavierkonzerte von Beethoven an zwei oder drei Tagen zu spielen. Aber als Neues Kammerorchester Potsdam müssen wir da auch ganz praktisch denken. Denn für diese Konzerte einen Konzertflügel zu mieten, wäre ein enormer finanzieller Aufwand, den wir uns einfach nicht leisten können. Darum haben wir uns auf diesen einen Abend konzentriert.

Ein Konzertabend mit vier Pianistinnen, der im Grunde ein Wettbewerb ist.

Obwohl ich nicht viel von Wettbewerben im künstlerischen Bereich halte. Denn worum geht es beim Spielen? Brillanz? Handwerkliche Perfektion? Oder Aussagekraft und Emotionen?

Im Idealfall um alles zusammen.

Ja, aber wir wissen auch, dass Brillanz und Perfektion kosten. Da müssen wir immer mit Einbußen zulasten von Aussagekraft und Emotionen rechnen. Und bei einem Wettbewerb zählen oft die Dinge im Spiel, die messbar sind. Gab es Fehler? Wie war die Intonation? Hat man die Abschlüsse gehört, und wie war die Balance der Stimmen? Das Emotionale bleibt dabei auf der Strecke, denn Brillanz kostet Menschlichkeit.

Trotzdem lassen Sie vier Musikerinnen gegeneinander antreten.

Aber bei uns entscheidet am Ende das Publikum, welche Pianistin im Juni das 5. Klavierkonzert von Beethoven mit uns spielen soll. Und bei dieser Entscheidung zählen nicht in erster Linie diese professionellen Merkmale, sondern ein Moment, das Charisma, musikalische Überwältigung, also das Emotionale. Bei uns ist das dann ein wenig so wie bei den Castingshows im Fernsehen.

Sie schauen sich solche Shows im Fernsehen an?

„Deutschland sucht den Superstar“ mit Dieter Bohlen nicht, da werden die Menschen nur vorgeführt. Aber die erste Staffel von „The Voice“ fand ich hervorragend.

Herr Joffe, ich muss zugeben, Sie verwirren mich.

Die Sänger dort waren wirklich interessant. Und vor allem die Experten im Hintergrund. Die haben bekannte Lieder so fantastisch arrangiert, dass die wie neu klangen. Bei unseren Chorproben wussten die Mitglieder dann immer schon, dass ich das gucken musste.

Wie werden Sie als Dirigent bei diesem „Klaviergipfel“ vorgehen? Vier Solistinnen, die bei jedem Satz wechseln, das klingt nach einer Herausforderung.

In diesem Konzert werde ich mich als Dirigent sehr stark zurücknehmen, um diesen vier Persönlichkeiten am Klavier Raum zu geben. Ich werde sogar nach ihren Wünschen das Konzert gestalten und nicht versuchen auszugleichen nach meinen Vorstellungen einer Interpretation. Bei jedem Satz spielt eine andere Pianistin. Und wenn die eine sagt, ihr sind Energie, Artikulation und Klarheit des Klanges wichtig, aber die nächste möchte mehr schwelgen, dann werden wir das mit dem Orchester auch aufgreifen. Denn das soll auch beim Publikum so ankommen, dass da vier unterschiedliche Persönlichkeiten auf der Bühne spielen.

Warum haben Sie sich für Beethovens Klavierkonzerte entschieden?

Seine Klavierkonzerte haben im Gegensatz zu den Sinfonien immer auch ein stark unterhaltendes Element. Und an den fünf Klavierkonzerten lässt sich auch gut seine Entwicklung nachvollziehen. Warum er so bedeutend war und ist für die klassische Musik. Als wir unser Jahresprogramm planten, wusste ich schon, dass die Kammerakademie Potsdam im Februar alle neun Sinfonien von Beethoven an vier Tagen spielen würde. Dass aber der Nikolaisaal im vergangenen Jahr zur Saisoneröffnung einen Schwerpunkt auf Beethovens Klaviersonaten legte und dann auch noch einen Abend seinen Streichquartetten widmete, wusste ich nicht. Aber dieser weite Beethovenbogen, der da gespannt wird, das ist ja für das Publikum sehr reizvoll.

Und wie haben die Pianistinnen das Konzept vom „Klaviergipfel“ aufgenommen?

Die nehmen das sportlich. Gleichzeitig aber auch als große Herausforderung, denn sie haben jeweils nur zwei Sätze aus den Klavierkonzerten, um sich vorzustellen und um zu überzeugen.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Musikerinnen ausgewählt?

Jede von ihnen hat schon Wettbewerbe gewonnen. Es sind noch junge Pianistinnen, zwei studieren noch, zwei haben ihr Studium abgeschlossen. Zwei von ihnen kannte ich schon von anderen Konzerten. Und dann habe ich einen sehr guten Kontakt zu Arie Vardi, einem der bedeutendsten Pianisten Israels, der an der Hochschule für Musik in Hannover unterrichtet. Er gilt als einer der renommiertesten Klavierlehrer in Europa. Und seine Meisterklasse in Hannover verlassen immer nur hervorragend ausgebildete Pianisten. Wir arbeiten regelmäßig mit Meiserschülern von Vardi zusammen und die waren immer von dieser Zusammenarbeit begeistert. Das spricht sich dann dort auch rum.

Haben Sie sich bewusst nur für Frauen entschieden?

Am Anfang haben wir überlegt, ob wir zwei Männer und zwei Frauen nehmen. Aber mit den Männern hat das nicht so geklappt.

Dieses Castingshowelement beim „Klaviergipfel“, haben Sie da nicht Sorge, dass der Klassikfreund befremdet die Nase rümpft?

Sie meinen nach dem Motto: Das ist ja reinstes Klassik-Radio-Niveau? Da bin ich ganz unorthodox. Und ein wenig Unterhaltung kann keine Sünde sein.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Ud Joffe, geb. 1967 in Israel, übernahm 1997 die Kantorei an der Erlöserkirche und gründete den Neuen Kammerchor, das Neue Kammerorchester Potsdam und das Festival „Vocalise“.

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