Kultur: Vier weltberühmte Töne
Mit seiner 5. Sinfonie schuf Ludwig van Beethoven ein unübertroffenes Meisterwerk
Stand:
„Alle neun Sinfonien an vier Tagen“ heißt es im Februar bei der Kammerakademie Potsdam. Ein Konzertmarathon mit den Sinfonien von Ludwig van Beethoven, wie ihn das Orchester noch nie bestritten hat. Die PNN stimmen in den kommenden Wochen mit regelmäßigen Beiträgen auf dieses Konzerterlebnis ein. Heute geht es um Beethovens 5., die „Schicksalssymphonie“.
Goethe nannte sie „sehr groß, ganz toll; man möchte fürchten, das Haus fiele ein“. Und E.T.A. Hoffmann, heute vor allem als Schriftsteller der Romantik bekannt, aber zur Zeit Beethovens ein herausragender Musikkritiker, schrieb über die 5. Sinfonie, „Beethovens Musik bewegt die Hebel des Schauers, der Furcht, des Entsetzens, des Schmerzes, und erweckt jene unendliche Sehnsucht, die das Wesen der Romantik ist“.
Es gibt in der Musikgeschichte wohl kaum ein so schlichtes und doch so markantes Anfangsthema wie das der 5. Sinfonie. Dieses berühmte TaTaTaTaaaa, das wohl fast jeder kennt, selbst wenn er mit dem Namen Beethoven selbst nichts anzufangen weiß. Vier Töne, dreimal das G in Achteln, gefolgt von einem langgezogenen Es, die so überwältigend genial gesetzt sind, dass da immer nur wieder Staunen bleibt, wenn man den ersten Satz der 5. Sinfonie hört. Egal, wie oft man diesen sieben Minuten vorher auch gelauscht hat, in denen dieses TaTaTaTaaaa immer wiederholt und variiert wird. Und wenn einem nur wenige Minuten zur Verfügung stehen würden, um einem Menschen das Besondere, das Unerhörte und Unerklärliche an Beethovens Musik nahezubringen, dann mit diesem 1. Satz, diesem Allegro con brio, der als die Quintessenz für Beethovens Schaffen und Streben angesehen werden kann.
„Bei der 5. Sinfonie ist das Besondere, dass eigentlich jeder meint, sie zu kennen. Da ist eine wahnsinnige Erwartungshaltung da, bei der ich mir jedes Mal denke, inwieweit man diese jetzt erfüllt, inwieweit wird da jetzt auch einmal gegen den Strich gebürstet und läuft man vielleicht nicht sogar Gefahr, sie zu spielen, wie man sie immer spielt? Sich das immer wieder auch selbst bewusst zu machen, also das finde ich bei dem Stück schon eine extreme Herausforderung“, sagt Julita Forck, Geigerin der Kammerakademie Potsdam.
Beethoven hatte schon 1803 mit den ersten Arbeiten an seiner Sinfonie in c-Moll begonnen. Und schon in dieser frühen Phase hat er das bekannte Anfangsmotiv zu Papier gebracht. Doch erst in den Jahren 1807 und 1808 stellte er sein Meisterwerk endlich fertig. Und vielleicht ist es gerade diese „Schicksalssymphonie“, an der Beethoven so lange gearbeitet hat – in der Zwischenzeit hatte er unter anderem seine 3. und 4. Sinfonie komponiert, gleichzeitig mit der 5. arbeitete er auch an der 6. Sinfonie –, in der sich zu diesem Zeitpunkt am deutlichsten und überzeugendsten sein Ringen um einen neuen Weg, das Aufbrechen der Grenzen des Sinfonischen und sein ewiger Anspruch manifestiert, sich dem Unfassbaren und Unerklärlichen unserer Existenz in einer musikalischen Form wenigstens so weit wie möglich anzunähern. Hier wird greifbar und so überzeugend hörbar, was es heißt, wenn von der Philosophie Beethovens in Tönen die Rede ist. Hier steht der Mensch als Individuum und in der Gemeinschaft im Mittelpunkt. Und „in ihren Tönen und Gedanken kristallisieren und transzendieren sich Grundvorstellungen vom Sinn menschlicher Existenz jenseits verästelter Gedankengänge und spezieller Befindlichkeiten. Das hat sie zur Symphonie der Symphonien gemacht – allerdings auch anfällig für ideologische Vereinnahmungen“, wie Martin Geck in seinem Essay über die 5. Sinfonie schreibt. Doch bei ihrer Premiere ist den Zuhörern das Besondere dieser Komposition verborgen geblieben.
Es scheint schicksalhaft für Beethoven gewesen zu sein, dass seine Premieren weniger erfolgreich verliefen. Selbst gestandene Konzertgänger beschwerten sich bei der Premiere am 22. Dezember 1808 in Wien über die vier Stunden Musik, die ihnen da an diesem bitterkalten Abend im Theater an der Wien zugemutet wurden. Neben der 5. waren unter anderem auch die 6. Sinfonie und das 4. Klavierkonzert zu hören, das Beethoven, in nicht guter Verfassung, selbst spielte. Es war sein letzter öffentlicher Auftritt als Konzertpianist. Und nicht nur Beethoven konnte an diesem Abend nicht recht überzeugen, auch die Musiker des Orchesters taten sich schwer. Ein Kritiker schrieb damals, „eine große sehr ausgeführte, zu lange Symphonie“.
Wer heute die vier Sätze in den knapp über 30 Minuten hört, der merkt oft nur, dass hier die Zeit viel zu schnell verfliegt. Allein die Momente im 1. Satz, wenn die Oboe sich verhalten und mit elegischem Ton in das Aufwühlende der Streicher stellt, ein so zartes wie ungeheuerliches Aufbegehren. Und immer wieder dieses Sich-Auftürmen, dieses musikalisch Überirdische, das nie pathetisch wirkt, einen aber immer wieder aufs Neue packt und erschüttert. Beethoven, der nicht nur mit seinen Sinfonien Werke schuf, an denen sich nachfolgende Komponisten messen mussten. Bei seinen Zeitgenossen dauerte es etwas, bis sie erkannten, was er da mit der 5. Sinfonie geschaffen hatte. So war aber dann Anfang 1813, über vier Jahre nach der missglückten Premiere, über die 5. Sinfonie in der Wiener allgemeinen musikalischen Zeitung zu lesen: „Dieser Ausbruch genialer Phantasie, kraftvoller Größe, dieses lebendige Bild hoher Leidenschaft in allen Abstufungen bis zu ihren heftigsten Momenten, und ihre Auflösung in triumphirenden Jubel, ist allgemein als ein Meisterwerk des Verfassers erkannt, das im Fache großer Instrumental-Musik einen klassischen Werth behauptet. Welche Fülle und Gediegenheit der Ideen! Welche reichhaltige, effektvolle Instrumentierung! Welcher wahre innere Genius!“
Die Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Antonello Manacorda spielt vom 13. bis 16. Februar alle neun Sinfonien von Beethoven im Nikolaisaal in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Weitere Informationen und Karten unter www.kammerakademie-potsdam.de
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: