Kultur: Virtuoser Klangabenteurer
Orgelkonzert mit Winfried Bönig in Friedenskirche
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Orgelkonzert mit Winfried Bönig in Friedenskirche Was haben Kölner Dom und Potsdamer Friedenskirche gemeinsam? Den Paten Friedrich Wilhelm IV. Kraft königlichen Machtworts lässt er am rheinischen Ufer den stagnierenden Kirchenbau fortsetzen, in der Havelstadt das mediterrane Gotteshaus errichten, in dessen Gruft er seine letzte Ruhestätte findet. Ob Winfried Bönig, Professor für künstlerisches Orgelspiel und seit drei Jahren Kölner Domorganist, seinen Auftritt beim Internationalen Orgelsommer in Potsdam als Geste des (verspäteten) Dankes empfunden haben mag? An solche historische Zufälligkeiten dürfte er kaum einen Gedanken verschwendet haben, als er auf der Orgelbank Platz nimmt, um ein französisches Programm mit deutsch-spätromantischer Garnierung zu spielen. Zuvor erläutert er es. Virtuos „bis zum Anschlag“ stürzt er sich in die aufregenden Klangabenteuer von Präludium und Fuge H-Dur von Marcel Dupre (1886-1971). Der Doppelpack gehört zu jenen Werken, die der Komponist in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts für seine USA-Tourneen verfertigte, um an den riesigen Orgeln der in vielen amerikanischen Städten entstehenden großen Konzertsäle brillieren zu können. Da hat die Woehl-Orgel reichlich Mühe, dem niedergeschriebenen Klangsturm entsprechen zu können. Hell und strahlend breitet sich das Präludium in seinem toccatischen Zuschnitt aus; in die Nähe orgiastisch entfachter organistischer Popmusik gerät die Fuge mit ihren synkopierten Effekten. Das Ohr zeigt sich überrascht. Auch bei den „Variationen über ein Thema von Händel“ von Arno Landmann (1887-1966) kann es in Glanz und Wonne baden. Dessen Noten durften einst in keiner Klavierschule fehlen. Wer kennt ihn heute noch?! Das effektvoll verwandelte Thema stammt aus der Oper „Rinaldo“ und gleicht einem Ohrwurm: „Lass'' mich mit Tränen mein Los beklagen“. Es windet sich aus Zungenstimmenregistern französischer Bauart (Trompette harmonique), setzt akkordische Ausrufezeichen, die verzierungsreich umspielt werden. Geschichtete Klangquader behaupten sich gegen Diskantgeklingel; Schnarrendes kontrastiert mit Principalstimmen, Pedalgrummeln mit ätherischem Schweben. Der Tastenpädagoge kennt viele Variationen, die der Organist ausreizt, indem er die Gegensätzlichkeit der Stimmfarben genüsslich auskostet. Davon lebt auch Franz Liszts „Evocation a la Chapelle Sixtine“. Dieser musikalische Reisebericht aus der Sixtinischen Kapelle hebt mit pedaldüsteren, dann grimmiger und drängender werdenden Beschreibungen an, die sich auf dem „Miserere“-Thema von Grigorio Allegri gründen. Dem karfreitäglichen Klagegesang folgt als Tröstung das engelsgleich verarbeitete Thema aus Mozarts Motette „Ave verum“. Dass dem Himmel die Hölle nicht allzu weit entfernt ist, weiß der Bibelfeste längst. Anderen macht es Winfried Bönig mit seiner bestechenden Kontrastdramaturgie deutlich, indem er sogleich die Transkription des „Danse macabre“ von Camille Saint-Saens (1835-1921) folgen lässt, die er als Porträt eines gerippeklappernden Sensenmannes spielt: grimmassierend, skurril, einschmeichelnd, heuchlerisch, drohend, besitzergreifend, besänftigend. Am Ende des makabren Tanzes hat er sein Ziel erreicht. Des Organisten Ziel ist dagegen der Franzose Louis Vierne (1874-1939), auch „Debussy der Orgel“ genant. Aus impressionistisch schillernden „Pieces de fantaisie“ spielt Winfried Bönig die Toccata als ein strahlendes, principalscharfes und grelles Stück. Gnomenhaft irrlichtert „Feux follets“ vorüber; klangimitierend tönen „Die Glocken von Hinckley“, zunächst einzeln, dann sich anschwellend zusammenklingend. Ein volltönendes Finale. Schade nur, dass in ihm - wie zuvor auch schon - die Register „Tremulant schwach“ und „Tremulant stark“ mit unschönen, wabernden Windgeräuschen auf sich aufmerksam machen. Es sollte daran gearbeitet werden. Der bravourösen Wiedergabe einer Programmfolge, die sich durchweg virtuos-konzertanter Literatur annimmt und keines Bachs als Alibi bedarf, fällt herzlichster Beifall zu. Peter Buske Internationaler Orgelsommer Potsdam: Abschlusskonzert (in Zusammenarbeit mit den Bachtagen Potsdam) am 15.9., 19.30 Uhr, Erlöserkirc
Peter Buske
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