Diskussion zum Thema „Warum sind Flüchtlinge gut für unser Land?“ im Hans Otto Theater: Visionen auf der Hysteriemüllhalde
Donnerstagabend, das gutmenschelnde Bildungsbürgertum trifft sich in der Reithalle des Hans Otto Theaters, um die quälende Frage dieser Zeit zu diskutieren: „Welches Land wollen wir sein?“ Nun, welches Land vornehmlich Akademiker haben wollen, das lässt den Riss in der Gesellschaft erkennen: Eine Willkommenskultur für Flüchtlinge, das ist die Sache der Gebildeten, Angst manifestiert sich wohl eher am Stammtisch zu Ablehnung.
Stand:
Donnerstagabend, das gutmenschelnde Bildungsbürgertum trifft sich in der Reithalle des Hans Otto Theaters, um die quälende Frage dieser Zeit zu diskutieren: „Welches Land wollen wir sein?“ Nun, welches Land vornehmlich Akademiker haben wollen, das lässt den Riss in der Gesellschaft erkennen: Eine Willkommenskultur für Flüchtlinge, das ist die Sache der Gebildeten, Angst manifestiert sich wohl eher am Stammtisch zu Ablehnung. Intellektuell geprägt war die Diskussion dann schon, aber gegenseitiges Schulterklopfen dafür, auf der Seite der Guten zu stehen, gab es dennoch nicht. Aber ist es genau diese Uneinigkeit, aus der dieser viel beschworene kreative Prozess entstehen kann: „Visionen“, dieses Wort sollte als roter Faden für die Diskussion dienen.
Recht zahnlos geriet zwar noch die Auftaktdebatte Ende November, die in mehreren Stätten stattfindet und vornehmlich die proletenfreie Wärme der Theater sucht. Der Dresdner Dramatiker Robert Koall, dessen Bühnenfassung von Wolfgang Herrndorfs „Bilder deiner Liebe“ der HOT-Intendant am vergangenen Freitag grandios in Szene setzte, hat für diesen Graben deutliche Worte gefunden: „Die Menschen, die zu Pegida-Demos gehen, die wollen sich nicht verführen lassen im Kopf, die wollen ihren eigenen Betonkopf von anderen Betonköpfen bestätigt sehen. Ich glaube nicht, dass wir jemanden, der zu einer Pegida-Demo geht, ins Theater locken können, dann zeigen wir dem ,Nathan der Weise’ und dann geht der raus und sagt: ,Ich hab mich getäuscht.’ So naiv sind wir nicht.“
Koall muss es wissen: Für sein Buch-Projekt „Ein Winter mit Pegida“ ging der Dramatiker jeden Montag in Dresden mit auf die Straße, war mal auf der einen Seite, mal auf der anderen. Aber Dresden ist auch anders als Potsdam, wo ein Brückenlauf weniger größtenteils Auswärtiger mit einer regelrechten Armada geschützt werden muss, weil diese vor lauter Ablehnung keinen Zentimeter weit gekommen wären.
Als Gäste begrüßten die beiden Dramaturgen Christopher Hanf und Helge Hübner, zwei Experten und ein Vorzeigebeispiel für gelungene Integration: Jasmin Taylor kam im Alter von 17 Jahren aus dem Iran nach Deutschland, im Zuge des ersten Golfkriegs. Heute leitet sie den Reiseveranstalter JT Touristik – und engagiert sich mit „Strong Independent Sisters“ in der Flüchtlingsarbeit für Frauen. Ihr zur Seite standen Harald Welzer, Sozialpsychologe und Gründer von „Futurzwei“, eine gemeinnützige Stiftung, die sich mit der Planung von Zukunft beschäftigt. Und Wolfgang Bautz vom „Fachberatungsdienst Zuwanderung, Integration und Toleranz im Land Brandenburg“ (Fazit), ein Experte für Migration, Integrationspolitik und interkulturelle Erziehung. Der Weg ist klar, weshalb das Thema des Abends auch unprätentiös „Warum sind Flüchtlinge gut für unser Land?“ lautete.
Na prima, da wurde das potenzielle „schlecht“ gleich ausgeklammert. Denkste: Einig war man sich nicht, was in der Äußerung einer Besucherin gipfelte, die gradeheraus proklamierte, dass die Politik verlogen sei, die Medien erst recht, und wer sich dagegen wehre, eins mit der Nazikeule übergebraten bekomme.
Hui, da war auf einmal Bewegung im Saal, HOT-Schauspielerin Andrea Thelemann hielt es nicht mehr auf dem Sitz: Sie sei in Dresden bei Pegida gewesen, und habe mit Entsetzen festgestellt, dass diese Demo durchaus eine Bühne für stramme Nazis sei, die sogar lange Wege in Kauf nähmen. Laut scheinen die besorgten Bürger ja zu sein, so wie deren Krakeelen in der „Hysteriemüllhalde“ Internet zu vernehmen ist.
Und was macht der Bildungsbürger? Er freut sich, weil endlich mal Brandgestank den leichten Weihrauchgeruch übertünchte: Darüber solle diskutiert werden, und endlich setzt das befreiende Gefühl von Dankbarkeit ein, endlich muss man nicht mehr in der Gutmenschenglocke ausharren, in der nach jedem Redebeitrag sanfter Applaus brandet. Der Politik fehle es eben an Visionen, so der Tenor, der Zustand wird einfach nur verwaltet und auf der Wichtigkeitsskala dem nächsten Wahlkampf untergeordnet.
Dass nämlich nicht nur die deutsche, sondern auch die europäische Historie eine Geschichte der Migration ist, das wird schnell vergessen. Ohne den Zuzug von Migranten würde Deutschland nämlich jedes Jahr 500000 Einwohner verlieren, was zu einem Zusammenbruch des Sozialsystems führen könnte, diese Zahlen hatte ein Besucher auch gleich ausgedruckt parat. Dabei sind die Ratschläge ja noch warm: Deutschland tut sich schwer mit Integration, dabei seien in den letzten Jahrzehnten immer wieder zahlreiche Ethnien geräuschlos integriert worden. Vielleicht hat gerader das etwas Urkomisches: Niemand redet mehr über Türken, die sich nicht assimilieren wollen, die gelten nämlich auf einmal als integriert. Vielleicht sind wir ja auch schon viel weiter, als wir denken zu sein. Oliver Dietrich
Oliver Dietrich
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: