zum Hauptinhalt

Kultur: Vitalkost

Organist Daniel Zaretsky in der Erlöserkirche

Stand:

Anspruchsvolle deutsche Orgelmusik von Bach, Mendelssohn Bartholdy und Reger, dazu Werke von zwei nahezu unbekannten Komponisten, hatte der russische Organist Daniel Zaretsky im Reisegepäck für seinen Orgelsommer-Auftritt in der Erlöserkirche. Das weckte bei den zahlreich Erschienenen große Erwartungen, die der 46-jährige Professor aus St. Petersburg auch weitgehend einzulösen verstand. Strahlend und festlich, im Silberglanz der Schuke-Orgel, lässt er zu Beginn seiner Entdeckungstour Johann Sebastian Bachs Praeludium und Fuge Es-Dur BWV 552 erklingen. Dabei wählt er ausschließlich durchdringende Prinzipalstimmen, um Pracht und Größe der Musik gebührend, das heißt durchweg im vollen Orgelwerk auszudrücken. Er artikuliert kraftvoll und rhythmisch versiert, wählt für beide Teile des Doppelpacks ein durchgängiges Metrum, von dem er keinerlei Abstriche zulässt, nicht mal klitzekleine. Eine notentreue Bach-Auslegung, so wie man sie kennt. Aber auch liebt?

Zwischen diese Eckpfeiler hat Zaretsky gleichsam als Kontrast drei Schüblersche Choräle eingeschoben. „Wachet auf, ruft uns die Stimme“, die überaus eilend die Schläfer mit Trompetenstimmen weckt. Prägnant im Diskant erklingt „Wo soll ich fliehen hin“, während „Meine Seele erhebt den Herrn“ gleich einem Trauermarsch in düsteren und gedeckten Farben ertönt. Der Tremulant und ein die menschliche Stimme imitierendes Register sorgen dafür. Und auch für die Darlegung von Felix Mendelssohn Bartholdys D-Dur-Orgelsonate op. 65 Nr. 5 besinnt sich Zaretsky auf die klangprächtigen Register-Möglichkeiten des Schukeschen Instruments. Weich getönt, fast ein wenig seelenkuschlig und trotzdem klar gezeichnet breiten sich die Melodienverläufe aus. Plötzlich schwingt etwas Geheimnisvolles mit, nimmt kantabler Gesang die Sinne gefangen. Dann wird es bewegter, leuchtender und heller im Klang, den der Organist schließlich ins hymnische Finale steigert.

Solche Differenziertheit zeichnet auch die Deutungen von Benedictus und Toccata aus Max Regers „Orgelmesse“ op. 59 aus, in denen der Komponist die sonst so geliebten chromatischen Harmonieexzesse meidet. Aus höchster Diskantlage herabsteigend breitet sich das Benedictus ganz licht und leicht aus, wobei der Jalousieschweller für einen zusätzlichen Effekt sorgt. Nirgends wird das Ohr überrumpelt, auch nicht in den fast kurzatmig wirkenden Abschnitten der Toccata mit ihren auf- und absteigenden Läufen und ihrer Verspieltheit.

Als eine recht vitale Angelegenheit entpuppt sich auch die Toccata (1947) des weithin unbeachteten sowjetischen Komponisten Georgi Muschel (1909-1989), der von 1930 bis 1936 am Moskauer Konservatorium u. a. beim Pianisten Lew Oborin und dem Komponisten Nikolai Mjaskowski studierte. Anschließend unterrichtete er bis zu seinem Tod am Konservatorium von Taschkent. Und diese Toccata entdeckt sich als eine kapriziöse, motorische, gefällige bis operettig wirkende Spielmusik. Organistische Vitalkost auch die „Variationen über die alte russische Volkshymne“ von Ernst Köhler (1799-1847), der als Organist, Pianist und Komponist in Breslau wirkte und dem dortigen Musikleben wichtige Impulse verlieh. Präludierend zeigt sich das hymnische Thema vor, das anschließend eine viermalige Verwandlung erfährt, zum Teil im Schnarrwerk ausgeführt. Fröhlich eilt die Fuge dem Finale entgegen. Viel Beifall, aber leider keine Zugabe. Peter Buske

Peter Buske

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })