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Kultur: Vivaldi remixed

Vier Jahreszeiten für den Klub im Nikolaisaal

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Wohl kaum ein Stück der klassischen Musik ist so bekannt wie die Vier Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi. Tausendfach wurden und werden die Violinkonzerte von Virtuosen gespielt und erklingen oft genug auch außerhalb der Konzertsäle in Restaurants, Supermärkten und als Handy-Klingelton. Diesen barocken Blockbustern eine zeitgemäße Fassung zu geben, muss eine besonders große Herausforderung für den Komponisten Max Richter gewesen sein. Doch dem englischen Komponisten, der vielfach prämierte Filmmusik schuf, gelang mit seiner Klub-Version ein neuer Hit. Nicht unerheblichen Anteil daran hatte der Geiger Daniel Hope, dem die Neufassung auf den kostbaren Violinleib der Ex-Lipinski von Guarneri del Gesú geschrieben wurde.

Im Nikolaisaal Potsdam erklangen am Samstag sowohl die 300 Jahre alte Version als auch die aus dem 21. Jahrhundert. Ein didaktischer Fingerzeig war dabei nicht zu übersehen – mittels Ohrphon konnte man zugleich Erläuterungen anhören – aber auch ohne das Ding ergab das einen anregenden Ausflug in 300 Jahre Musikgeschichte. Der fantastische Solist Daniel Hope und das Orchester l’arte del mondo unter der Leitung von Werner Ehrhardt lieferten eine volle Dröhnung Vivaldi ab, um in der Klubsprache zu bleiben. Nicht zufällig erlebte die elektronische Version ihre Premiere vor zwei Jahren im Berliner Kult-Klub Berghain.

Was hätte Antonio Vivaldi gesagt, wenn er gewusst hätte, dass seine Vier Jahreszeiten noch drei Jahrhunderte nach ihrer Entstehungszeit landauf landab gehört und gespielt werden? Diese Musik fasziniert, weil sie eingängig und überraschend, populär und experimentell, rational und phantasievoll und leidenschaftlich ist. Dem trägt das Kammerorchester temperamentvoll Rechnung und erzeugt kantige, expressionistische Tonbilder, die von den feinen, goldenen Linien der Violine von Daniel Hope durchzogen werden. Der Geiger stürzt sich in die Klangwogen, glitzernd spritzt Gischt auf bei den Springbogen-Kunststücken, gläsern klirren und schlingern die Saiten am Steg auf dem kalten Eis.

Nach der Pause erklingt die Max-Richter-Version, die für die recomposed-Serie der Deutschen Grammophon entstanden ist. Bei den kurzen Stücken scheint Vivaldi stets durch, doch zugleich ist der Charakter zeitgenössischer Klub- und Filmmusik unüberhörbar. Zu Beginn noch deutlich, später immer raffinierter verweben sich elektronische Einspielungen mit den analogen Instrumenten, die von einer Harfe verstärkt werden. Richters Version ist basslastig, bisweilen wummernd im Techno-Stil, reduzierter, fokussiert auf kleine Szenen, die mit viel Sinn für Steigerung aufgebaut werden und häufig abrupt wie ein Bildwechsel enden. Die Solovioline erhält mehr Raum als im Original und spielt mit markiger Verve gegen die elektronisch verstärkten Klangstürme an. Dem Breitwand-Technicolor-Sound trägt Daniel Hope jetzt mit breitem Strich, viel Vibrato und allerlei Tonverfremdungen Rechnungen, weit mehr als schon bei Vivaldi vorhanden. Für den Ton war extra Chris Ekers, „einer der besten Sound Engineers“, aus London gekommen, wie Hope dem staunenden Publikum erklärt. Als Zugabe gibt es für die aufgerauten Ohren reinen Vivaldi, der letzte Satz aus dem Doppelkonzert a-Moll, und mit der Air ein reiner Johann Sebastian Bach, so unverfremdet wie es heute, 300 Jahre später, noch geht. Begeisterter Beifall belohnt das gelungene Klangexperiment aus alt und neu. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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