Kultur: Vögel sind Freiheit
Seelsorger Thomas Marin mit Storys aus dem Knast
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Ein kleiner, kaum flügger Spatz sorgte in einer Berliner JVA für erhebliches Aufsehen. Vom Regen patschnass, konnte er nicht mehr fliegen, und hungrige Krähen ganz in der Nähe verhießen nichts Gutes. Sollte der Natur ihr Lauf gelassen werden, oder war es besser, Leben zu retten? Der Anstaltsseelsorger voran ging man den letzteren Weg. Er schmuggelte den inzwischen getrockneten Vogel sogar zur Übernachtung in eine Zelle. Am nächsten Morgen ließ man ihn durchs Fenster frei. Solche und ähnliche Geschichten hat der Diakon und Gefängnisseelsorger Thomas Marin in seiner neuen Publikation „Jailbirds. Blicke zum Himmel über dem Knast“ zusammengefasst.
Einundfünfzig im Ganzen, 15 davon stammen aus der Feder der Gefangenen. So reflektiert Marc zum Beispiel über das Thema „Vögel sind Freiheit“, Marin wiederum beschreibt in „Reserviert“, wie eine Taube sich genau dort niederlässt, wo der Stammplatz eines Amselmännchens ist. Sie wird vertrieben. Ein alltäglicher Vorfall, für ihn aber mit Blick auf seine „Knastis“ Grund genug für die Feststellung, dass man manchmal nur auf dem falschen Platz sitzen muss, um richtig Ärger zu bekommen und in einer JVA zu landen. Unlängst stellte Thomas Marin das druckfrische Werk in der Potsdamer „arche“ vor.
Er hatte nämlich beobachtet, wie viele Vogelarten sich innerhalb dieser Gefängnisse aufhalten, Tauben, Amseln, Rotschwänze, Spatzen, Möwen, mehr als dreißig Arten im Ganzen. Und werden die Inhaftierten nicht oft auch „Knastvögel“ genannt, Jailbirds eben? Aus diesen beiden Teilen lässt sich wohl ein gutes Buch machen. Als Katholik hätte der Diakon in den Berliner JVAs nicht viel zu tun, nur ein paar Polen und ein Litauer hängen dem vatikanischen Stuhl an, dann gibt es ein paar Protestanten, viele junge Muslime, aber ohne feste soziale Bindung. „Die meisten aber haben von Gott noch nie etwas gehört“, berichtete Marin. Anders als in der Freiheit machen gerade diese Geistlichen ihrem Berufsstand alle Ehre, denn sie schauen nicht auf die Konfession, sondern auf die Seele der jungen Burschen, natürlich auch bei den „Gottlosen“. Um sie sorgen sie sich.
Marin wehrt sich dagegen, einen Menschen auf sein Delikt zu reduzieren, wie es die Richter machen. Wer einmal geraubt hat, ist bei ihm noch lange kein Räuber auf Lebenszeit, sondern ein Mensch. „Gott liebt den Sünder, aber nicht die Sünde!“ Helfen kann der Seelsorger freilich auch nicht immer, aber den Jailbird ein Stück auf seinem Weg begleiten, das schon. So erzählte er von einem der Jungs, der ins Drogenmilieu abgerutscht war und dann auch noch seine 19-jährige Freundin verlor. „Dem konnte ohne Drogen gar nicht mehr geholfen werden.“ Man könne immer nur auf das bauen, was in einem Menschen seiner Natur nach drin ist.
Die Texte und Berichte aus dem Knast unterliegen immer der seelsorgerischen Schweigepflicht. Deshalb hat der Diakon sie auch leicht ins Allgemeine gehoben, Namen nur dort verwendet, wo einer wieder in Freiheit ist, frei wie der Vogel. Auch sonst gab es in der „arche“ mal wieder viel zu hören: dass in den JVAs zuerst in Sicherheit investiert wird, erst dann in Soziales und Bildung, dass die Vollzugsbeamten die „Basisversorgung“ der Knastis („Elternersatz“) übernehmen müssen, nicht Pfarrer und Psychologen, und dass hinter Gittern wenig gelesen wird. Gerold Paul
Thomas Marin, „Jailbirds. Blicke zum Himmel über den Knast“, Rombach Verlag
Gerold Paul
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