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Kultur: Voll des berstenden Ausdrucks

Geigenstar Kolja Blacher am Pult der Kammerakademie Potsdam im Nikolaisaal

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Man liebt es und glaubt es bis in den letzten Winkel seiner Notenverästelungen zu kennen, Beethovens berühmtes D-Dur-Violinkonzert op. 61, das längst zum Klassiker seiner Gattung avanciert ist. Doch kennt man es wirklich? Zweifel konnten einem beim 9. Sinfoniekonzert der Nikolaisaal-Reihe wahrlich kommen, als Kolja Blacher es unter seine solistischen und dirigentischen Fittiche nahm. Unterstützung erhielt er dabei von der Kammerakademie Potsdam, die sich mit schier spielberstendem Elan an dieser Entdeckungsreise in terra nova beteiligte.

In einer auf den ersten Blick ziemlich rigide wirkenden Gemeinschaftsaktion wurde das Opus all seiner klassischen Gefälligkeit entkleidet, stattdessen mit Ausdruck pur umhüllt. Das Orchestertutti der instrumentalen Einleitung wurde extrem kurz, ja geradezu bärbeißig phrasiert. So also entsteht und konzentriert sich Energie, um sogleich in rasante Bewegung auszuschlagen. Nordic Walking auf Beethoven-Pfaden. Ruhepunkte sind dabei selten. Es geht durch eine rauhe Karstlandschaft. Ihre Schönheiten können sich durch den scharfen und akzentbetonten Blick des Solisten entfalten, an dessen dramatische Deutung des musikalischen Geschehens man sich allerdings erst gewöhnen muß. Doch dann ist des Staunens kein Ende. Auf seiner „Tritton“-Stradivari aus dem Jahre 1730 erzeugt er in technischer Perfektion Töne, die weniger aufblühen als vielmehr glasklar funkeln. Was sich da gleichsam gegen den Strich gebürstet anhört, verweist auf eine analytische Werksicht, die jeglichen Romantizismen eine deutliche Abfuhr erteilt.

Solist wie Orchester lieben das Ungewöhnliche, die abrupten Wendungen, den direkten, zupackenden Zugang. Und so spielt Kolja Blacher mit geradewegs martialischer Freude am Duettieren mit Pauker Friedemann Werzlau auch die Soloimprovisation des ersten Satzes. Dabei handelt es sich um ein Beethoven-Original für dessen Klavierkonzertbearbeitung seines Violinkonzertes. Bei allem interpretaorischen Furor bleibt sie ein Fremdkörper, denn an diesem Abend wird selbiges und nicht jenes gespielt!

Antischwelgerisch breitet sich das Larghetto aus, dann gibt es Momente berückender Innigkeit und Klangschönheit zu bewundern. Resolut zeigt sich das Rondo-Allegro, das schließlich in eine nachgerade strahlende Ekstase mündet. Ebenfalls begeistert aufgenommen wird zuvor das Streicherstück „The Path and the Traces“ (Der Pfad und die Spuren) des estnischen Neutöners Erkki-Sven Tüür (geb. 1959). Gewichtige, ansteigende Tonschritte sollen den „Pfad“ markieren (so steht''s im Programmheft), während Glissandoeffekte als Saiten-„Zwitschereien“ für die „Spuren“ stehen. Alsbald durchdringt sich das eine mit dem anderen, entstehen konzentrierte Klangverbindungen, bei denen dissonante Reibeflächen unüberhörbar sind. Bei diesen Klangspielen in kristallinen Strukturen treffen sich hohe und tiefe Streicher abschließend in ätherischen Gefilden, die langsam verlöschen. Dirigent Kolja Blacher zeigt sich bereits hier von einer berstenden Ausdrucksgier.

Konzertmeisterliche Aufgaben übernimmt er dann nach der Pause bei der nicht weniger frappierenden Wiedergabe von Antonin Dvoraks Streicherserenade E-Dur op. 22. Die von ihm angespornte Kammerakademie erweist sich dabei als ein ausdrucksintensiver, farbenreicher Klangmaler in klaren Konturen. Gefühlvoll, weich getönt und gelöst ertönt das einleitende Moderato. Huldigen die Musiker plötzlich der Idylle? Mitnichten. Dem schwungvoll sich ausbreitenden „Tempo di Valse“ ist alle slawische Melancholie ausgetrieben, dem Scherzo nicht minder. Klangsatt singt das Larghetto in gebremster Wehmut sein Lied. Von Unrast getrieben erklingt das Finale. Der erneut sich offenbarenden hinreißenden Präzison des Zusammenspiels (hier gab''s statt böhmische Knödel feurige ungarische Fischsuppe!) dankte anhaltender Beifall.

Peter Buske

Peter Buske

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