Kultur: „Volle Kraft voraus“
Söhne Mannheims und Filmorchester Babelsberg gaben gemeinsam Konzerte im Nikolaisaal
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Söhne Mannheims und Filmorchester Babelsberg gaben gemeinsam Konzerte im Nikolaisaal Ein tiefer Cello-Ton breitet sich im ausverkauften Nikolaisaal aus. Streicher gesellen sich dazu, dann Bläser. Plötzlich zerreißt das viermalige Aufeinanderschlagen von Drum-Sticks die von Klassik erfüllte Luft. Das Experiment beginnt. Die „Söhne Mannheims“ und das Deutsche Filmorchester Babelsberg auf einer Bühne. Zusammen wollen sie an diesem Abend Songs der beiden Alben „Zion“ und, gerade erschienen, „Noiz“ des Mannheimer Künstlerkollektivs zu Gehör bringen, veredeln, neu interpretieren. So war''s gedacht. Schließlich hat das Orchester bei Produktionen von Rammstein bis Manfred Krug mitgewirkt und somit alle Grenzgebiete moderner Unterhaltungsmusik schon instrumental besegelt. Gleich zu Beginn dann aber soundtechnische Probleme. Das Orchester erweckt die ersten zwei Titel nur optisch den Eindruck, wirklich zu spielen. Zu hören ist vom über 40 Musiker starken Orchester recht wenig. Da kann die Dame an der Harfe noch so inbrünstig in die Saiten greifen, der Ton ist schlecht ausgesteuert und die zwei Mannheimer Schlagzeuger verschlucken alles. Auch der Gesang versinkt im Brei. Ober-Sohn Xavier Naidoo und seine drei Vocal-Kollegen scheitern in der ersten Viertelstunde beim Anrennen gegen die sie umgebene Soundwand. Bei „Komm heim“ wird es besser. Die kräftige Stimme Claus Eisenmanns bekommt Raum zur Entfaltung und auch Xavier kann mit soulig-schmachtendem Organ von seinen zahlreich vertretenen Fans vernommen und gehuldigt werden. Denen gibt er nebenbei eine kleine Lektion: „Benimm beim Klassik-Konzert“. Mit dem Zeigefinger vor dem Mund bittet er um Aufmerksamkeit für die Overtüre zu „Peace geht raus“. Nun klappt auch das „Cross-Overn“ wunderbar. Das Orchester setzt wuchtige Akzente und ausgeklügelte Melodien in die Pop-Kompositionen. Da der Frieden unter das Volk zu bringen, anstrengend ist, wird danach erst einmal 15 Minuten pausiert. Mit neuer Kraft kann sodann das „Babylon System“ in alter Reggae-Tradition zu Grabe getragen werden. Die Zuschauer helfen mit. Aus ihren Sitzen gerissen, klatschen, tanzen und singen sie: „Denn die Tage sind gezählt, dann stirbt das Babylon System“. Der Ragga-Rap löst Euphoriestürme im Publikum aus und auch das ein oder andere Orchestermitglied kann beim angeregt Mitwippen während einer Spielpause „erwischt“ werden. „Wenn ihr euch jetzt hinsetzt, müsst ihr gleich wieder aufstehen!“, kündigt Naidoo dem Publikum an. Also wird bei „Wir haben allen Göttern abgeschworen“ munter weitergetanzt. Nach „Volle Kraft voraus“ und ihrem Überhit „Geh davon aus“ vom ersten Album, bleiben nur Naidoo, Eisenmann und Keyboarder Florian Sitzmann auf der Bühne zurück. „Und wenn ein Lied“ vereint das Publikum zu einer wiegenden, Arm- und Feuerzeug schwenkenden Großfamilie. Beim donnernden Finale „König der Könige“ darf das Filmorchester nochmal in die Vollen gehen. Dann aber schnell die Bühne räumen, Licht an, Leute raus, weil: in 45 Minuten geht''s weiter. Alle die für die erste Show keine Karten mehr bekommen haben, wollen schließlich auch noch befriedet werden. Christoph Henkel
Christoph Henkel
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