Kultur: Voller Anmut
Ballettakademie Perm tanzte „Coppelia“
Stand:
Mechanisches Spielzeug hat seit altersher die menschliche Phantasie besonders angeregt. Tanzende Puppen besonders. Den männlichen Anbetern verdrehen sie den Kopf, ob sie nun wie Olympia (aus Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“) koloraturprächtig und aufgezogen singen oder als Coppelia in Leo Delibes gleichnamigem Ballett auf Spitze tanzen können. Doch ein Makel ist ihnen gemeinsam: sie sind seelenlos. Ehe die Verblendeten dies erkennen und wieder zu sich selbst finden, vergeht eine Weile. In der Zwischenzeit kann man sich, wie in letzterem Fall, an weiteren tänzerischen Leistungen auf der Bühne erfreuen. In eine solche hatte sich der Nikolaisaal verwandelt, um der Russischen Staatlichen Ballettakademie Perm für ihr begeistert aufgenommenes „Coppelia“-Gastspiel den grauen Tanzboden ausrollen zu können. Er ist leergefegt und gibt der Truppe eine unverstellte Fläche zur Vorführung ihrer raumgreifenden Künste.
Ein mit mittelalterlichen Häuserfassaden à la Spitzweg bemalter Horizonthänger (im 2. Akt ist“s der Salon von Mechanikus Coppelius) muss fürs Bühnenbild ausreichen und technischen Tourneegegebenheiten entsprechen. Ähnlich war es auch 2006, als die Permer in Potsdam mit Tschaikowskys „Nußknacker“-Klassiker gastierten. Erneut kommt die Musik vom Band. Erträglich in den ersten beiden Akten, nach der Pause viel zu laut. Wer hatte da zwischenzeitlich an den Reglern gedreht?
„Coppelia oder Das Mädchen mit den Emaille-Augen“, wie das Delibes-Ballett vollständig heißt, geht auf ein Libretto von Charles Nuitter und Arthur Saint-Léon zurück. Das Ensemble aus Perm zeigt es in der Choreographie von Alexander Gorski/Boris Mjagkow, die dem klassisch-akademischen Exercice huldigt, aber mit Elementen lebendigen Gestaltungstanzes angereichert ist. Hohle Gesten sucht man bei ihnen vergeblich. Dafür erblickt man junge Menschen voller Tanzanmut, Ausdruckskraft und Leidenschaft. Wie die angehende Ballerina Ksenia Owtschinnikowa, die sich von der „Nußknacker“-Colombine nun zur spitzensicheren Swanilda entwickelt hat. Gekonnt dreht sie ihre Pirouetten, steht sicher – ohne partnerschaftliche Handhaltungen – ihre Arabesken und Attitüden, brilliert in Fouettés, Sprungschritten und makellos-linearer Arm- und Beinarbeit. Kein Wunder, dass sie dadurch und auch mit ihrer Ausstrahlung ihren puppenverblendeten Freund Franz wieder zurückgewinnt. Den tanzt Iwan Michalew (im „Nußknacker“ gab er den Drosselmeier), ein schlanker und langbeiniger, durchtrainierter Jüngling, sprunggewaltig und elegant in seinen fließenden Arm- und Beinbewegungen. Das finale Liebes-Pas de deux ganz in Weiß (mit Goldbesatz an Jabot und Tutu) zeigt beide in strahlender Schönheit.
Von der kleinen „Nußknacker“-Marie hat sich Maria Satula nun zur konfliktauslösenden Puppe Coppelia hochgetanzt, die für ihre Solovariation viel Beifall erhält. Leider ist Michail Sawinitsch viel zu jung, um glaubhaft den alten Puppenmechaniker Coppelius als einen grantig-gefoppten Charakter zu gestalten, der er im Original ja ist. Hier wird er als liebenswerter Liebeskuppler vorgeführt. Er wie alle anderen Solisten und die Gruppentänzer fühlen sich in ihren farbenbunten Kostümen sichtlich wohl. Das Corps de ballet strahlt viel Frische, Unbekümmertheit und Lebensfreude aus, wenn es unter anderem in Walzer, Mazurka und Csardas über die Bühne wirbelt. Im 3. Divertissement-Akt können auch sie neben den Solisten mit Solovariationen brillieren. Aus der „Girlreihe“ von acht Freundinnen Swanildas findet sich eine unerwartet auf dem Boden wieder. Der anschließende Beifall tröstet sie über das Ungemach hinwegPeter Buske
Peter Buske
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: