zum Hauptinhalt

Kultur: Vollgas mit Vollbart

Die „Aereogramme“ bei einer Party im Waschhaus

Stand:

Die „Aereogramme“ bei einer Party im Waschhaus Für das alternativ rockende Publikum hat die „Visions Party“ im Waschhaus einen unstreichbaren Platz im Terminkalender. Ob unverbrauchte, junge Geheimtipps oder etablierte Größen – der Bandauswahl darf getrost vertraut werden. Als Support geben sich die Münsteraner „My Favorite Chord“ mit Leib, Seele und reichlich Gitarrengewitter dem Emopunk hin. Von einem reichlich beackerten Feld mit wenig, qualitativ hochwertigen Output in den letzten Jahren, fährt der Fünfer eine akzeptable Ernte ein. Mit roher Energie stellt sich bald aber schon der „Hatten wir den Song nicht schon“-Effekt ein. Die Dynamik soll wenig später mit den „Aereogrammen“ ihren Siegeszug antreten. Die kürzlich verstorbene Radio-Legende John Peel gehörte zu ihren größten Verehrern, ein Qualitätssiegel, das mit der Einladung zu den legendären Peel-Sessions gefestigt wurde. Perfektioniert scheint bei den ausnahmslos vollbärtigen „Aereogrammen“ das Wechselspiel von laut und leise, flüsternden Gesangslinien und kreischenden Ausbrüchen. Gerade wenn man anfängt, sich Sorgen zu machen, dass die elegisch leidende Stimme Craig B.s an der bombastischen Soundwand zerschellt, steuert dieser mit einer vokalen Eruption dagegen, die schon beim Anhören Halsschmerzen bereitet. Wer sich auf das Wechselbad einlässt, hat seine Freude mit der Band. Leute, die aber einen 4/4-Takt zum Tanzen benötigen, sind hier falsch. Songstrukturen werden aufgebrochen, krachende Fill-Ins von Drummer Martin Scott fegen vorhersehbare Formen in den Songs hinweg. „Den seelenlosen Bullshit wegspülen“ benannten die Aerogramme ihr Ziel in einem Interview des gastgebenden Musikmagazins. Mit kitschigen Streicherflächen wiegt die Band das Publikum in Sicherheit, um Sekunden später mit dröhnendem Bass musikalisch auf’s Fressbrett zu geben. Nur beim getragenen „I Don’t Need Your Love“ dominieren für einige Minuten ruhigere Töne. Bevor aber auch nur einer im Publikum auf die Idee kommen könnte, sein Feuerzeug hoch zu recken, schlägt der Blitz in Form des Flaming Lips-Covers „Lightning Strikes the Postman“ ein. Das bärtige Bassmonster drischt erbarmungslos auf seine vier Saiten und versetzt das Publikum in eine „Tu mir nichts!“ - Starre. Mit „Tool“ teilt die Band den Hang zum Klangperfektionismus und ungeahnten Breaks. Jedoch nehmen sie sich nicht so ernst, wie die Brüder im Geiste mit ihrer überhöhten Ästhetisierung der Musik. Sie plaudern in Songpausen lieber schottisch-charmant mit dem Publikum und werfen ein paar Brocken Deutsch in ihre Ansagen. „Seclusion“, Zurückgezogenheit heißt ihr aktuelles (Mini-) Album. Eine trügerische Fehlinformation, wovon die Waschhaus-Besucher schnell überzeugt sind. Blutende Ohren und ein schmerzender Nacken sind gern erduldete Nebenwirkungen bei der Einnahme der „Aereogramme“. Stichwort Blut. Die Horror-Fans kommen beim Kauf der neuen CD in einen besonderen Genuss. Über die Kürze des Albums (nur sechs Songs) tröstet ein kurzes, aber sehr rot gefärbtes, Filmchen hinweg. Drehbuch und Soundtrack in zwei Versionen hat die Band beigesteuert. Christoph Henkel

Christoph Henkel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })