Kultur: Vom Augenschmaus bis zur Bildervöllerei
„Artus“ aus Ungarn eröffnete „Unidram“
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„Artus“ aus Ungarn eröffnete „Unidram“ Fluten von Bildern branden beständig von der Bühne auf die Zuschauer. Aus vielen Quellen gespeist, fließen sie ineinander oder aneinander vorbei, bestärken oder vernichten sich gegenseitig, Auf – oft genug gleichzeitig – vier Ebenen entwickeln sich Handlungen, die das Publikum zu Assoziationen hinreißen sollen. Alles scheint in einer Klinik zu beginnen und zu enden: Endstation Irrenhaus? Darsteller werden von medizinischem Personal hereingeführt oder bekommen Medikamente verabreicht. Ein Akteur trägt einen weißen Hunde-/Schakalkopf. Wer sich mythologisch auskennt oder den Programmzettel gut gelesen hat, erkennt: Das ist der ägyptische Gott Anubis, der Gott der Erinnerung. Ihm wird von einer Ärztin ein Loch in den Schädel geschnitten, um mit einem kleinen medizinischen Spiegel nach bestimmten Erinnerungen zu suchen. Auf einem Podest links hinten sitzt nach japanischer Tradition ein Mann als Geisha verkleidet, der nicht selten obertonsingend zu der eingespielten Musik die Handlung auf der Bühne begleitet. Die Geisha wird aber auch Nachrichtensprecherin und Interviewerin. Rechts auf einem abfallenden, hügeligen Sandkasten klaubt eine nickelbrilletragende Isis (vorher die hundekopfaufbrechende Ärztin) die vergrabenen Einzelteile ihres Brudergatten Osiris zusammen, um diese wieder zusammenzusetzen. Im Vordergrund der Bühne begegnen sich Mann und Frau in Kostümen des 19. Jahrhunderts, die nach Liebesnecken die Ehe eingehen und eine Familie mit fünf Kindern gründen. Die Familie ist ein Hort des ewigen, offenen oder unterschwelligen Unfriedens, der Revolte der Kinder gegen die Eltern, der Kinder gegeneinander, der Eltern gegeneinander, aber – erstaunlicher Weise – nie der Eltern gegen die Kinder. Willenlos lassen sich die Eltern von den Kindern malträtieren, in Müllsäcke verpacken, die luftleer gepumpt, das Paar zu einer idyllischen Skulptur erstarren lassen . Auf dem Bühnenhintergrund, gestaltet wie Wände japanischer Häuser, die nur mit Papier abgeklebte Rahmen sind, gesellt sich nicht selten zur Bühnenaktion noch ein symbolisch ebenso aufgeladenes Schattenspiel. Die ungarische Theatergruppe „Artus“, die am Samstag das 11. Theaterfestival „Unidram“ eröffnete, bietet mit ihrer Inszenierung „Osiris Coverage“ ausgehend vom ägyptischen Mythos der „Isis und des Osiris“ dem „Zuschauer viel Raum für eigene Assoziationen“. Das Programmheft verspricht „Vergnügen für die Augen und Verzauberung für die Ohren“. Und wahrlich: die Bilder sind auf sich allein gestellt oft genug wirklich bestrickend schön, betörend absurd, geistreich abstoßend. Doch was als Augenschmaus beginnt, steigert sich bald in selbstverliebte Völlerei, dass einem die Augen übergehen. Aus dem Vergnügen wird Verstopfung. Das, was „anspruchsvoll für den Geist und beunruhigend für das Herz sein soll“, kommt bei diesen eigentlich vergnügensbereiten Organen nicht mehr an. Die artikulierte Medienkritik der Gruppe fällt auf sie selbst zurück: „Sie (die Medien) stehen nicht im Dienste der Menschen, sondern beweisen ständig immer nur sich selbst und reproduzieren nur Bedingungen zur Absicherung des eigenen Bestehens. Das Interview spricht nicht vom Interviewten, sondern vom Reporter." Spricht nicht diese Art des Theaters mehr von sich selbst als mit den Zuschauern? Am Ende langer herzlicher Applaus. Einzelne Bravo-Rufe verhallen. Frank Jast
Frank Jast
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