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Aufstieg und Fall. Der Wasserträger Wan (Dierk Prawdzik, l.) scheitert ebenso wie Shen Te (Sebastian Bischoff, r.)

© Manfred Thomas

Kultur: Vom Ende der Selbstlosigkeit

Die Theatergruppe „Shakespeare und Partner“ inszenierte Bertolt Brecht im Potsdamer T-Werk

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Bertolt Brecht, der personifizierte erhobene Zeigefinger, ist untrennbar mit dem Ausdruck des epischen Lehrtheaters verbunden: weg vom klassischen Theater, hin zu den großen gesellschaftlichen Konflikten. Diese Modernisierung des Theaters zog einige beispielhafte Stücke nach sich, eines der bekanntesten davon ist „Der gute Mensch von Sezuan“. Die freie Theatergruppe „Shakespeare und Partner“ brachte dieses Stück am vergangenen Wochenende in zwei Vorstellungen am Freitag und am Samstag im T-Werk in der Schiffbauergasse auf die Bühne.

Dabei waren „Shakespeare und Partner“ sehr strikt, was die Einhaltung der Regeln betrifft – sowohl bei Shakespeare, der alle Rollen ausschließlich mit Männern besetzte, als auch bei Brecht, der das Schauspiel auf erzählerische Elemente beschränkte und weitgehend auf ablenkende Requisiten verzichtete. Was bekam man zu sehen? Eine Bühne, auf der nur einige Pappkartons als Requisiten standen (Bühne: Ulrike Eisenreich), und fünf Männer, die sich in Frauenkleider zwängten. Dieser shakespearsche Anachronismus im Brechtschen Theater hat das Potenzial, dem Stück eine clowneske Komik zu verleihen – den Schauspielern gelang es aber, die Ernsthaftigkeit aufrechtzuerhalten.

Der Inhalt der Parabel ist weniger komplex, als man bei einem Brechtschen Werk befürchtet hätte. Drei Götter kommen auf die Erde, um in Sezuan die Güte der Menschen zu prüfen. In seiner Gottesfürchtigkeit, die als zentrales Element fungiert, erkennt nur der Wasserträger Wan (Dierk Prawdzik) diese als Götter und verschafft ihnen ein Quartier bei der Prostituierten Shen Te (Sebastian Bischoff), die von ihnen mit einem kleinen Vermögen entlohnt wird und fortan verspricht, nur noch gut zu sein. „Wie soll ich gut sein, wenn alles so teuer ist?“, fragt sie – und die Komplexität der Wohltätigkeit nimmt nun Fahrt auf.

So ist Brechts Parabel auch die Darstellung der Notwendigkeit des Scheiterns. Die Güte des Menschen im Kontext der Habgier seiner Umwelt ist zum Untergang verdammt: „Zu viele Versinkende greifen gierig nach ihm“, begreift Shen Te, der in ihrer naiven Güte nur ihr Vetter Shui Ta bleibt, hinter dem sie sich versteckt. Diese Doppelrolle ist ein dramatischer Trick: Shen Te und Shui Ta sind ein und dieselbe Person, und diese Aufspaltung ist letztlich zwingend. Brecht zeigt nichts anderes als die Entblößung der Raubtierfratze des Kapitalismus. Die aufopferungsvolle Güte Shen Tas kann nur durch das gegenteilige Wesen Shui Tas komprimiert werden, der sich seiner Umwelt anpasst und diese ausbeutet. Sebastian Bischoff gab dieser Doppelrolle eine beeindruckende Intensität, mit einer eindringlichen Verletzlichkeit, die geradezu prädestiniert für das Scheitern des Charakters ist.

Und so dreht sich die Handlung des Stückes immer wieder im Kreis, von überall her drängt sich die Bedrohlichkeit des Besitzes auf, immer wieder geht es um Schuld und Verrat. „Die Guten können sich nicht helfen und die Götter sind machtlos“, sagt Shen Te. Was nicht dem eigenen Vorteil gilt, wird gnadenlos vergällt, was als selbstlos gilt, wird liquidiert. Und damit das Ganze in seinem Sarkasmus unterstrichen wird, wurde es mit Musik unterlegt: Das gab der Inszenierung den nötigen Unterhaltungsfaktor – auch wenn die Originalmusik von Paul Dessau nur adaptiert wurde. Bettina Koch am Keyboard und Toni Nissl am Schlagzeug gaben in ihrer Bühnenpräsenz jedoch die musikalische Leichtigkeit zurück, die am besten zum Stück passt: „Am Sankt Nimmerleinstag wird die Erde zum Paradies“, sang der Flieger (Moritz Gaa), eine der kältesten und zugleich tragischsten Figuren des Stückes.

Zuletzt lebte das Stück von der unaufdringlichen Distanzlosigkeit, mit der das Publikum eingebunden wird: Das Licht im Saal blieb an, die Interaktion auch ohne die Erhellung erhalten. Wenn offene Fragen bleiben, wird sich eben direkt an das Publikum gewendet – inklusive offenem Ende.

Was der Theatergruppe gelingt, ist der Schwere des Themas eine angenehme Leichtfüßigkeit zurückzugeben. Und gerade das scheint notwendig, um nicht von der Grausamkeit des Inhaltes erschlagen zu werden. Wenn die Verlierer immer nur an das Gute im Menschen glauben, entsteht eine Brachialität, die in der Handlung aufgefangen werden muss – eine Gratwanderung, die zuverlässig erledigt wird. Dass dabei einige Längen entstanden, fiel nicht mehr ins Gewicht: Unterm Strich eine gelungene Inszenierung, die noch lange nachwirkt.

Oliver Dietrich

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