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Kultur: Vom Feinsten

Wilhelmshavener Vokalensemble begeisterte

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„Freier Eintritt, um eine Spende wird aber gebeten“, hieß es auch am Sonnabend beim zweiten abendlichen Chorkonzert in der Nikolaikirche. Weniger Besuch als am Donnerstag, doch jetzt war alles anders. Als sei eine Zauberhand in den gewaltigen Kuppelsaal gefahren, hörte man das wunderbare Programm des Wilhelmshavener Vokalensembles (WVE) von Anfang bis Ende mit aller Klarheit. Anders als der Chor aus Großbritannien kamen diese Gäste bestens mit der Akustik klar.

1987 gegründet und seit 1988 von dem Allround-Genie Ralf Popkens geleitet, gehört diese deutsch-niederländische Gründung seit langem in die erste Reihe hiesiger Kammerchöre. Viele Einspielungen, große Erfahrung, das war vom ersten Einsatz an zu spüren, als Johann Sebastian Bachs doppelchörige Motette „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“ (BWV 226) in seiner ganzen Opulenz erklang. Dem Tod seines Leipziger Rektors Ernesti 1729 gewidmet, hat Bach sie auf den Text des achten Kapitels Römer gestellt und alles so kunstvoll verwoben, dass man das „Wehen des Heiligen Geistes“ auch in Popkens Interpretation geradezu herausspüren konnte. Nach dem schönen Mittelteil „sondern der Geist selbst" vereinigen sich dann die beiden Chöre für die Fuge „der aber die Herzen forschet“, um in dem glanzvollen Schluss-Choral „Du heilige Brunst, süßer Trost“ ganz wunderbar zu enden. Ein Empfinden, eine Kraft, ein „unaussprechliches Seufzen“ lebten im Bewusstsein, ganz im gottesdienstlichen Sinne zu konzertieren.

Von der hochkultivierten technischen Perfektion dieses Ensembles muss man gar nicht erst reden: Bis in die Tutti war wirklich alles vom Feinsten!

Wie die von Popkens stets harmonisch und verhalten eingerichtete Bach-Interpretation, so trug auch Jörg Strodthoff an der Orgel zum erhebenden Gesamteindruck dieses Abends bei. Er beherrscht das Orgelwerk von Bach, Buxtehude und Reger und ist Stammgast im Berliner Dom. Beim Tournee-Halt in Potsdam spielte er Wilhelm Friedemann Bachs Phantasie c-moll mit Eleganz, ja mit gestaltender Liebe, strukturierte die folgende Messe für zwei vierstimmige Chöre des Genfers Frank Martin aus den zwanziger Jahren durch sehr harmonische Orgelimprovisationen eigener Feder und war auch bei Cesar Francks „Grand piece Symphonique“ in c-moll ein Meister seiner Klasse. Alles hielt sich in der Welt des Harmonischen, wuchs in schöner Klarheit hervor. Die Abstimmung zwischen A-Capella-Gesang und Instrumentalparts war einfach hervorragend. Martins Gesamtwerk nun ist ein Lehrbeispiel dafür, dass Schönbergs Dodekaphonik weder schrill noch atonal klingen muss. Wenn etwas die „neue Musik des 20. Jahrhunderts“ repräsentierte, dann ist es sein Stil: Er achtet auf Harmonik, verwendet modale und pentatonische Skalen, betont nur herausragende Worte (kyrie eleison, hosanna) melismatisch, indes sich im Credo auch unregelmäßige Tonarten finden. Dies alles auf die bewährten Kirchentonarten gesetzt, muss es eine besondere Freude sein, ein so brillantes Chorwerk zu singen. Das Auditorium jedenfalls war bass vor Staunen.

Doch auch die „Fest- und Gedenksprüche“ op. 109 von Johannes Brahms zum Ende dieses exzellenten Konzertes entbehrten weder des Glanzes noch spiritueller Innigkeit. Voller Wohlklang, verhaltene Kraft, Anmut strahlten bis in die letzte Reihe – erstaunlich, wie technische Perfektion und Erfahrung den höchsten Ausdruck hervorbringen können.

Gerold Paul

Gerold Paul

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