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Ist für extravagante Versionen bekannt. Der renommierte Jazz-Pianist Uri Caine hat sich an Bachs Brandenburgische Konzerte gewagt.

© Bill Douthart

Kultur: Vom Finden des irdischen Glücks

Das Brandenburg Project: Uri Caine und Steven Mackey treffen auf die Brandenburgischen Konzerte von Johann Sebastian Bach – eine Premiere im Potsdamer Nikolaisaal

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Dass seine Musik einmal in das Weltall geschickt werden würde, um möglichen Außerirdischen von unserer Kultur zu berichten, hätte Johann Sebastian Bach wohl für die Erfindung einer blühenden Phantasie gehalten. Doch beim Projekt Voyager Golden Records aus dem Jahr 1977 findet sich gleich zu Beginn der erste Satz aus dem zweiten Brandenburgischen Konzert sowie noch zwei weitere Werke des Meisterkomponisten aus Mitteldeutschland – eine erstaunliche Anzahl, wenn man bedenkt, dass auf der goldenen CD nur 27 Musikstücke vorhanden sind, darunter zur Hälfte ethnische Musik.

Als Cembalist, Organist und Dirigent hinterließ der Thomaskantor schon zu seiner Zeit starken Eindruck: „Wie er ganz allein mitten im lautesten Spiel der Musiker, obwohl er selbst den schwierigsten Part hat, doch sofort merkt, wenn irgendwo etwas nicht stimmt; ..., wie er den Takt in allen Gliedern fühlt, die Harmonien alle mit scharfem Ohre prüft, allein alle Stimmen mit der eigenen begrenzten Kehle hervorbringt...“ – so fasziniert schrieb Johann Matthias Gessner über Bach als Leiter eines Orchesters von 30 bis 40 Musikern.

Der Komponist Bach wurde dagegen erst wieder im 19. Jahrhundert entdeckt. Wie viele seiner Werke, so schlummerten auch die Brandenburgischen Konzerte bis 1850 in einer Bibliothek, genauer beim Markgrafen von Brandenburg-Schwedt, dem Widmungsträger. Seither ist die Popularität der sechs Konzerte ungebrochen, die zu ihrer Zeit ein veritables Forschungslabor der Klänge darstellten.

Entgegen dem Mainstream des Barock experimentierte Bach dabei mit unterschiedlichen Instrumenten in teilweise sehr speziellen Kombinationen, auch ließ er Freiräume für individuelle musikalische Ausschweifungen aller Art. Fast 300 Jahre nach ihrer Entstehung bilden die Brandenburgischen Konzerte jetzt die Basis für das vom Swedish Chamber Orchestra initiierte Brandenburg Project. Sechs zeitgenössische Komponisten komponieren dafür je ein Partnerwerk unter Berücksichtigung der originalen Besetzung der Brandenburgischen Konzerte.

Den Anfang machen Steven Mackey und Uri Caine mit zwei Werken, die am Samstag im Nikolaisaal ihre deutsche Premiere erleben. Das zweite Brandenburgische Konzert wird von der Trompete beherrscht, die in der höfischen Hierarchie zur Militärmusik gehörte.

Doch Bach ließ keinen Zweifel daran, dass die Trompete einen Platz im modernen Orchester beanspruchen darf – allein schon die hohe Clarin-Lage und die Virtuosität machen dieses Stück zu einem der herausforderndsten in der Trompeten-Literatur. Im jubelnden Finale wird der allerletzte Ton sogleich vom Flügelhorn in Steven Mackeys Komposition Triceros aufgenommen. Entsprechend dem Titel Dreihorn erklingen hier gleich drei Blasinstrumente aus der Trompetenfamilie, ein tiefes Flügelhorn, eine C-Trompete und eine Piccolo-Trompete. Anders als bei Bach handelt es sich um eine durchgehende Komposition, die dem großartigen schwedischen Trompeter Håkan Hardenberger auf den Leib geschrieben wurde: Wie das Triceros jacksonii – das dreigehörnte Chamäleon – bewegt sich Håkan fließend vom Hellen ins Dunkle, von Lebendigen ins Stille, vom Weichen ins Raue, erklärt Steven Mackey im PNN-Gespräch.

Im fünften Brandenburgischen Konzert ertönen mit Flöte, Violine und Cembalo gleich drei Solo-Instrumente. Dabei übernimmt das Cembalo mehrfach die Führung und sprengt mit ausladenden Kadenzen den Rahmen des damals Üblichen. Der Hörer mag darin ein kleines Selbstporträt des versierten Tastenvirtuosen und Komponisten Bach erkennen.

Für den renommierten Jazz-Pianisten Uri Caine war die Beschäftigung mit diesem ausgefallenen Konzert unter dem „beschützenden Geist von Bach“ eine verlockende Herausforderung, wie er sagt. Uri Caine hat nicht nur für seine extravaganten Versionen von Mozarts Musik einen Echo-Preis erhalten, sondern auch einen weiteren für sein experimentelles Jazz-Album Plastic Temptation. Seine im Sommer 2015 vollendete Komposition trägt den schlichten Titel Hamsa, das arabische Wort für die Zahl Fünf. Dem wiederum entspricht das hebräische Wort Hamesh.

Im vorderasiatischen Kulturraum sei diese Zahl ein Glückssymbol, symbolisiert durch die fünf ausgestreckten Finger einer Hand, erklärt Uri Caine.

Sie erinnert ebenfalls an die berühmte Hand von Guido – ein musikalisches System, das von dem Mönch und Musikgelehrten Guido d’Arezzo im 11. Jahrhundert erfunden wurde, um Sängern das Finden der Tonhöhen zu erleichtern. Hamsa besteht aus einem konstanten Dialog zwischen den Solisten und dem Streichorchester, bei dem die musikalischen Ideen zwischen allen Musikern herumgereicht werden.

Als geistreiche musikalische Unterhaltung über die Jahrhunderte hinweg darf man sich auch das Konzert mit dem Swedish Chamber Orchestra unter der Leitung von Thomas Dausgaard vorstellen, wenn zwei originale Brandenburgische Konzerte auf ihre modernen Nachkommen im ganz und gar irdischen Nikolaisaal in Potsdam treffen.

Uri Caine und Steven Mackey spielen am Samstag, 9. April um 20 Uhr im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10.

Babette Kaiserkern

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