Kultur: Vom Geheimtipp zur festen Größe
Heidi Jäger
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Heidi Jäger Mehrmals schon sollte das Hans Otto Theater ein neues Haus erhalten. Aber immer wieder wurde ein Neubau verschoben, kurz nach der Wende der Rohbau des Theaters sogar abgerissen, weil dieser „am falschen Platz“ stand. Am 22. September 2006 ist es soweit: Am Havelufer in der Schiffbauergasse wird sich der Vorhang im neuen Haus öffnen. In unserer Serie wollen wir an die vergangenen Jahrzehnte des Theaters erinnern, an Künstler auf der Bühne, dahinter und davor, an Schauspiel- und Musiktheaterereignisse, an Episoden aus dem Theaterleben Potsdams. HEUTE: Die Montagabend-Reihe Als Heiner Müllers fünf Teile der „Wolokolomsker Chaussee“ in der „Montagabend“-Reihe zur Premiere und teils auch zur Uraufführung gelangten, war der politische Sprengstoff garantiert. Eine der Vorstellungen hatten Studenten der Juristischen Hochschule aus Eiche fast komplett beim Besucherservice aufgekauft. Sie entfachten im Anschluss eine bitterböse Diskussion, die in dem Vorwurf einer Studentin gipfelte: „So einer wie Heiner Müller gehört eingesperrt.“ Regisseur Bernd Weißig verwies sie in die Schranken und betonte, dass sie eindeutig zu weit ginge. Ein späterer Versuch Weißigs, diese angehende Juristin der Staatssicherheit zu einer sachlichen Diskussion einzuladen, schlug allerdings fehl. Sie ließ sich verleugnen. Wie sich die damalige Chefdramaturgin Irmgard Mickisch erinnert, legte die SED-Bezirksleitung dem Intendanten Gero Hammer nahe, diese Inszenierung langsam vom Spielplan zu nehmen. „Die Ansetzungen wurden allmählich ausgedünnt.“ So wahrte man in der Öffentlichkeit das Gesicht, denn ein richtiges Verbot wurde umgangen. Die Montagabend-Reihe gehörte seit der Spielzeit 1969/70 zu den wichtigsten Markenzeichen des Theaters. Sie hatte das mutige Experiment der kleinen Form auf ihre Fahnen geschrieben. Geburtshelfer dieses auf Eigenproduktionen und Gastspielen setzenden Angebotes war der Dramaturg und Regieassistent Ernst-Georg Hehring. Er wollte den „blauen Montag“ – also den Tag, an dem die Techniker frei hatten – mit unaufwändigen, aber durchaus gehaltvollen Besonderheiten füllen. Dort durften auch Leute, die nicht in der ersten Regie-Reihe standen, wie Dramaturgen und Schauspieler, selbst einmal eine kleine Inszenierung wagen, für die sie mit ihrem Herzblut brannten. Aber auch erfahrene Leute, wie Rolf Winkelgrund, nutzten die „M“-Reihe, um künstlerisch herausragende Texte, wie von Roziewicz, auf die kleine Bühne zu bringen. Es wurden zunehmend brisante Stücke angefasst, die nicht im Repertoire-Spielplan standen, vor allem auch sowjetische Stücke, wie Gelmans „Protokoll einer Sitzung“, das eine Diskussion zum Demokratieverständnis los trat. Im Anschluss an die Vorstellungen kam es immer zu Publikumsgesprächen, die manchmal wichtiger waren als die Aufführungen. Es waren sehr offene Diskurse, die auch Ventilfunktion hatten. Nach und nach erlangte die „M“-Reihe Kultstatus. „Sie brachte eine neue Ästhetik in die erstarrte muffige Kulturpolitik und stieß Türen auf, die von der Intendanz befördert und geschützt wurden,“ so Dramaturg Michael Philipps. Immer wieder mal habe das „rote Telefon“ geklingelt, nicht nur bei der „Wolokolomsker Chaussee“. Zu einer fast unendlichen Aufführungsserie brachten es auch Maxie Wanders Monologe „Guten Morgen, du Schöne“, bei denen zum ersten Mal Frauen ganz offen über Liebe, Beruf und Staat sprachen. Man konnte sozusagen durchs „Schlüsselloch“ in private Schicksale schauen. Die „M“-Angebote wurden immer differenzierter. „Der Selbstanspruch wuchs ständig“, so Michael Philipps. Wenigstens eine Uraufführung pro Spielzeit war bald die Norm. Auch überregional erregte das Theater Aufmerksamkeit. Die Reihe bescherte ihm den Ruf, eines der lebendigsten und mutigsten Theater zu sein. Neben Eigenproduktionen waren es auch die ständigen Gastspiele, die Publikum zogen. Namen wie Gisela May, Manfred Krug, Eberhard Esche, Uschi Brüning, Karls Enkel oder Klaus Lenz sprachen für sich. Durch die Ableger des Festivals des politischen Liedes wehte auch die große Welt hinein: mit links stehenden Künstlern wie Pete Seeger. Kabaretts standen ebenfalls immer wieder auf dem Programm, die damals einen anderen politischen Stellenwert hatten und oft gerade so an einem Verbot vorbei rutschten. Die Montagabend-Reihe mauserte sich bald von einem Geheimtipp zur festen Größe. Nach der Wende wich sie sehr schnell neuen Konzepten.
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