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Kultur: Vom Mörder keine Spur

Nikolaisaal: Donna Leon und Il Complesso Barocco

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Mörder wurden nicht gejagt. Auch kein kriminalistischer Spürsinn zur Schau gestellt. Die Lesung der berühmten Krimiautorin Donna Leon am Samstag im fast ausverkauften Nikolaisaal bot bis auf eine lebensgefährliche Schifffahrt im Sturm keine nervenaufreibenden Momente. Erzählte Donna Leon in Ausschnitten aus ihren Büchern vom Commissario Brunetti, ging es fast ausschließlich nur um eines: Musik.

Den Kenner und Donna-Leon-Liebhaber wird diese Harmonie von Text und Musik an diesem Abend kaum überrascht haben. In ihren mittlerweile 16 Kriminalromanen taucht immer wieder die Oper auf. Fast schon entschuldigend wandte sich Donna Leon an das Publikum, als sie gestand, dass sie in ihrem Debüt „Venezianisches Finale“ von 1992 noch nicht der Barockmusik den Vorrang, sondern Verdis „La Traviata“ gegeben habe. Doch in ihrem fünften Brunetti-Buch „Acqua Alta“ lässt Donna Leon ihrer großen Leidenschaft für die Barockmusik Genugtuung widerfahren.

Diese Leidenschaft konzentriert sich bei Donna Leon vor allem auf einen Komponisten: Georg Friedrich Händel. Und so war es fast schon selbstverständlich, dass Ian Curtis und sein Ensemble Il Complesso Barocco die Lesung mit Arien und Rezitativen des gebürtigen Hallensers ergänzten. Curtis, der sich in den zurückliegenden 30 Jahren als unermüdlicher Ausgräber in den Archiven verbannter Händel-Opern und deren Wiederaufführung einen Namen machte, ist Donna Leon auch freundschaftlich verbunden. Beide Amerikaner leben in Italien, Donna Leon in Venedig, Curtis in der Toskana. Regelmäßig treffen sie sich und reden stundenlang über ihre Liebe: die Musik.

Curtis brauchte wenig, bis Il Complesso Barocco das Händelsche Feuer entfachten. Das Spiel der fast ausschließlich jungen Musiker war voller Lebendigkeit und Farbe, federleicht das Tänzerische, voll feiner Ironie das verziert Verspielte. Die Sopranistin Geraldine McGreevy und der Countertenor Max Emanuel Cencic ließen sich von diesem fast schon organischen Klang tragen und gaben der Musik mit ihrem Gesang ein prachtvolles Sahnehäubchen. Klar und fein und trotz der Zurückhaltung so emotionsbeladen die Arie der Morgana „Credete al mio dolore“ aus Alcina, bei der Geraldine McGreevy nur von Cello, Cembalo und Theorbe begleitet wurde. Das Duett von Rodelinda und Bertarido „lo tabbraccio“, in dem Cencic mit leicht spröden Charme seines Countertenors den strahlende Sopran von Geraldine McGreevys wunderbar ergänzte. Und man fragte sich, wer hier mehr genoss. Das Publikum im Saal oder Donna Leon auf der Bühne, an ihrem Tisch sitzend, ganz gefangen in der Musik des von ihr so verehrten Georg Friedrich Händel.

Dirk Becker

Dirk Becker

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