Kultur: Vom Skeptiker zum Übergangstäter
Der Gedichte schreibende Titanic-Redakteur Thomas Gsella las im Waldschloss
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Der Gedichte schreibende Titanic-Redakteur Thomas Gsella las im Waldschloss Von Dirk Becker Thomas Gsella freundlich zu nennen, wäre falsch. Er ist ein netter, wirklich sympathischer Kerl. Aber freundlich? Gsella ist ehrlich bis zur Schmerzgrenze und mit Vorliebe auch weit darüber hinaus. Und bei dieser Art von Ehrlichkeit, da bleibt nicht viel Raum für Freundlichkeit. Die gut 60 Lauschwilligen, die am Donnerstagabend zu Gsellas Lesung von Geschichten und Gedichten ins Waldschloss kamen, erlebten einen Mann, der mehr als Zufriedenheit ob seines Rufes als verbaler Haudrauf ausstrahlte. Denn er scheint wenig mehr zu lieben, als dieses schonungslose und oft auch spitzbübisch-bösartige Bloßstellen. Seit 1992 ist Thomas Gsella Redakteur bei der sich selbst als „endgültig“ bezeichnenden Satirezeitschrift Titanic. Die wichtigste Vorraussetzung für diesen Job ist, dass einem rein gar nichts heilig sein darf. Einmal im Monat geht es munter drauf los und eine gelungene Ausgabe der Titanic zeichnet sich dadurch aus, dass die Redakteure mal wieder kräftig über die Stränge und damit natürlich den guten Geschmack geschlagen haben. Ob Politik, Religion, Sprachverirrungen oder Zwischenmenschliches, hier geht es gegen alles und jeden, und das fast immer mit herrlichem Hintersinn. Die eherne Regel, über Namen keine Witze zu machen, bei der Titanic ist das Gegenteil Grundgesetz, wie Gsella genüsslich lesend an diesem Abend bewies. Mit der Titanicrubrik „Briefe an den Leser“ wurde die Lesung eröffnet. Weil Leserbriefe nur „doof“ seien, so Gsella, mache man es bei der Titanic halt umgekehrt. Ob Leser oder nicht, hier wird die Kunst des Beleidigens und Vorführens zelebriert. Und wenn dann einer dieser Briefe an eine gewisse Gisela von Hinten gerichtet ist, dann weiß man schnell, in welchen Untiefen sich nun getummelt wird. Es folgten noch weitere Texte aus der Satirezeitschrift, in den Gsella Politiker meuchelte, Künstler verschaukelte und die eigene Großmutter derb beleidigte. Der Autor las fröhlich und nippte zwischendrin, freundlich lächelnd, an einem mächtig großen Glas Bier. Der größte Teil des Abends aber gehörte seinen Gedichten. Drei Bände hat Gsella bisher veröffentlicht. Und hier beweist er sich oft als wahrer Meister. Ob seine, die Fabeln Äsops zitierenden Tiergedichte, seine Wortspiele oder außergewöhnlichen Liebeshymnen, ob strenges Sonett oder lockerer Paarreim, Gsella überhöht und karikiert. Das gekonnt, mit Überschwang und Wortwitz, die Nähe zu Robert Gernhardt nie leugnend. Mit „Kille Kuckuck Dideldei“, dem erschreckend infantilem Gebrabbel, in das gern Frauen älteren Semesters verfallen, wenn sie ein Baby in ihrer Nähe wissen, hat Gsella seinen aktuellen Gedichtband überschrieben. 1999 wurde seine Tochter Rosa geboren. Die Schwangerschaft seiner Frau, Geburt und ersten Monate seiner Tochter hat er hier in Reimform gebracht. Keine rosarote Glückseligkeitslyrik, die einem schon beim zweiten Gedicht die Haare zu Berge stehen ließe, auch hier bleibt Gsella seiner schonungslosen Ehrlichkeit treu. Ob der erste Schock des mittlerweile 44-Jährigen über die große Nachricht, von der er anfangs gar nichts hielt. Die vollgemachten Windeln, das spuckende Kind in seinen Armen – Gsella drückt das alles etwas ungeschönter aus – seine Gedichten sind voller Spott und einer kräftigen Prise Machismo. Doch immer wieder bricht er diese mit Versen auf, in denen er von der wachsenden und erstaunlichen Liebe zu seiner Tochter erzählt. Aus dem Skeptiker ist mittlerweile ein Überzeugungstäter geworden. Vor drei Wochen, so erzählte Gsella am Ende der Lesung, sei er zum zweiten Mal Vater geworden. Man darf gespannt sein, was für Gedichte daraus entstehen.
Dirk Becker
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